Unser Protagonist ist heute 29 Jahre alt und will anonym bleiben – damit er auch in Zukunft noch ins Stadion gehen kann. Der Text wurde von Benedikt Niessen aufgezeichnet.
Der HSV steht kurz vor seinem ersten Abstieg aus der Bundesliga. Als Fan des FC St. Pauli sollte ich mich eigentlich darüber freuen: Dem Dino wird endlich das arrogante Großmaul gestopft und wir können nächste Saison (sofern wir nicht noch absteigen) wieder ihr Stadion einnehmen und den Derbysieg holen.
Was meine Freude etwas trübt: der Abstieg käme drei Jahre zu spät.
Damals hatte ich eine Aktion geplant, die mir nicht nur jede Menge Spaß, sondern vielleicht auch ein bisschen Geld eingebracht hätte. Aber fangen wir von vorne an.
Ich komme aus Hamburg und bin mit dem Schulhof-Schnack über St. Pauli und HSV groß geworden. Zu meinem Freundeskreis gehören Fans von beiden Seiten. Über die Jahre sammelten sich zahlreiche Anekdoten und Running-Gags über Bremer Papierkugeln oder den letzten Derbysieg 2011 im Stadion an der Müllverbrennungsanlage an. Mit denen ziehen wir uns bis heute auf.
Der Unterschied zwischen den beiden Lagern: Wir Pauli-Fans waren stets der Underdog und hatten Auf- und Abstiege erlebt – wir haben Fußball sowieso immer etwas lockerer genommen und hatten was zu feiern, wenn wir aufgestiegen sind. Währenddessen rechneten die HSVler aus, wie viele Spiele sie vom Champions-League-Titel entfernt waren.
In der Saison 2014/2015 sollte ein neuer Seitenhieb dazukommen: der HSV taumelte seinem ersten Bundesliga-Abstieg entgegen. Nachdem es im Jahr zuvor in der Relegation gegen Fürth noch glimpflich für sie ausgegangen war, sollte es diesmal wirklich so weit sein. Ich war mittlerweile Mitte 20, hatte gerade mein BWL-Studium abgeschlossen und befasste mich beruflich mit digitalen Geschäftsmodellen. Ich war und bin davon fasziniert, wie man über das Internet so schnell und günstig Kunden erreichen kann. Und ich träumte schon immer davon, mit einer guten Idee nebenbei etwas Spaß zu haben und so ein Projekt auf die Beine zu stellen. Warum also nicht mit dem Absturz des HSV?
Ich hatte also eine simple Idee: Ich sah beim Gedanken an den HSV-Abstieg immer bildlich vor mir, wie die Uhr im Stadion aufhört zu schlagen und anschließend abgehängt wird. Ein Bild, das stellvertretend für den Untergang des HSV stehen würde. Also hatte ich die Idee das Bild von der letzten Anzeige der Uhr auf Merch-Artikel wie Shirts zu drucken. Dazu hatte ich eine Website angelegt, Social-Media-Seiten erstellt und Zeichnungen für den Aufdruck vorbereitet. Nach Abstieg wäre alles innerhalb weniger Stunden online gegangen.
Um an die Menschen zu kommen, sicherten mir meine Freunde zu, dass sie Werbung in der Stadt und im Internet machen würden. Ich hatte zudem Ideen für virale Posts gesammelt und auch schon Kontakte zur Hamburger Presse herausgesucht, um das Projekt direkt nach dem Abstieg zu pushen. Sie hätten es getan, denn ganz Deutschland wartet(e) nur noch auf den Abstieg des HSV.
Ich wollte aber auch die HSV-Fans erreichen. Also kaufte ich mir die neutrale (und kurze) Domain HSV2015.de und legte extra keine Trollseite an, um zwei Zielgruppen zu erreichen. Die einen, die Spott und Häme für den HSV übrig haben und die anderen, die den HSV lieben (lol) und aus Nostalgie-Gründen zuschlagen würden.
Meine eigene Rechnung: Im besten Fall würde das Projekt durch die Decke gehen und vielleicht hätte ich auf dem Rücken des HSV ein bisschen Geld gemacht. Im schlechtesten Fall hätte ich zumindest gelernt, wie sich solch ein Projekt innerhalb kürzester Zeit auf die Beine stellen lässt. Beide Szenarien hätten ganz sicher Spaß gemacht – was das Wichtigste für mich war.
Am 34. Spieltag vor drei Jahren war klar, dass der HSV mal wieder in der Relegation landet und gegen den Karlsruher SC spielen muss. Und nach dem 1:1 im Hinspiel in Hamburg war der Weg in die zweite Liga geebnet.
Ich saß zum Rückspiel also mit einem Kumpel (KSC-Fan und genau so heiß wie ich) in einer Kneipe in meiner neuen Wahlheimat Köln und hatte meinen Laptop dabei, um direkt nach dem Abstieg eine Nachtschicht einzulegen und Shop sowie Website online zu stellen. Auch bei meinem Arbeitgeber hatte ich schon die Möglichkeit ausgehandelt, zwei oder drei Tage dafür Urlaub zu nehmen.
Ich war angespannt – auch weil ich Angst hatte vor den Reaktionen der HSV-Fans. Ich wollte schließlich nur Spaß machen und niemanden ernsthaft kränken. Aber so mancher Fan versteht das ja nicht. Ich dachte also mehrmals daran im Impressum meine falsche Adresse anzugeben, musste es aber dann sowieso nie tun.
Der HSV hatte sich mal wieder retten können und meine Idee erblickte nie das Licht der Welt.
Am Ende hat mich das ganze Projekt so um die 100 Euro gekostet. Alleine deswegen kann der HSV dieses Jahr gerne absteigen – und vielleicht gibt es diesmal ja jemanden, der ein bisschen Geld damit macht.