Bundestrainer Joachim Löw gibt am Mittwoch den Kader für die ersten Länderspiele der deutschen Nationalmannschaft nach der erfolglosen WM in Russland bekannt.
Denn am 6. September beginnt für die Nationalelf wieder der Ernst des Fußball-Lebens: Das erste Spiel der neuen Uefa Nations League steht an, Deutschland trifft auf Weltmeister Frankreich. Drei Tage später folgt in Sinsheim ein Testspiel gegen Peru.
Ein Großteil der 23 Spieler, die bei der WM in Russland dabei waren, können trotz Vorrunden-Aus darauf hoffen, dass sie weiterhin den DFB-Dress überstreifen dürfen.
Ein großer Umbruch ist nicht zu erwarten. Denn, das hat schon der WM-Kader gezeigt, Jogi setzt gerne auf seine bewährten Kräfte. Stützen des Teams, wie Kapitän Manuel Neuer, Mats Hummels, Toni Kroos oder Jérôme Boateng, müssen sich wahrscheinlich eher keine große Sorgen um ihre Rolle im Team machen.
Manuel Neuer, mittlerweile 32, wird kaum aus dem Kasten zu verdrängen sein, denn er ist Weltklasse. Aber Marc-André ter Stegen ist ebenfalls Weltklasse und hätte nach einer starken Saison beim FC Barcelona eigentlich schon bei der WM in Russland einen Stammplatz im Tor verdient gehabt, nachdem Neuer lange schwer verletzt war. Irgendwann (nach der EM 2020?) wird ter Stegens Zeit kommen. Wenn sich Neuer noch einmal schwer verletzen sollte, dann steht der 26-jährige noch früher bereit.
Hinten rechts in der Viererkette ist es ähnlich wie im Tor: Platzhirsch Joshua Kimmich ist Philipp Lahms legitimer Nachfolger und füllte prompt das Positionsvakuum. Die Alternative zu Kimmich heißt Mitchell Weiser, 24, der seit dem Sommer bei Bayer Leverkusen unter Vertrag steht. Der Torschütze des entscheidenden Treffers beim EM-Sieg der U21 im Jahr 2017 überspielte vergangene Saison bei Hertha im Schnitt 55 Gegner pro Spiel. Besser war nur: Joshua Kimmich.
Mats Hummels ist bei Rekordmeister Bayern München längst nicht mehr unumstritten. Der 29-Jährige saß beim Saison-Auftakt sogar 90 Minuten auf der Bank.
Thilo Kehrer hat sich mit einer herausragenden Saison, in der er für Schalkes Vizemeisterschaft unverzichtbar war, für seinen Wechsel zu PSG empfohlen, der ihn zum teuersten deutschen Verteidiger aller Zeiten machte. Kehrer ist erst 21 und wird unter Thomas Tuchel seine bereits sehr guten Zweikampf- (61 Prozent) und Passquote (83 Prozent) weiter verbessern können. Er ist der Kronprinz in der DFB-Innenverteidigung.
Boateng wird in wenigen Tagen 30 Jahre alt und hat jetzt schon immer mal mit Verletzungen zu kämpfen. Wer wird sein Nachfolger? Ginter, Rüdiger, Tah und Süle scheinen ganz große Chancen zu haben. Doch es gibt noch ein Ass, das sicher nur wenige auf Schirm haben werden: Timo Baumgartl. Der 22-Jährige spielte zum ersten Mal in der Saison 2014/15 für den VfB Stuttgart in der Bundesliga (20 Einsätze). Seit zwei Jahren ist er Stammspieler in der Innenverteidigung der Schwaben. Thomas Hitzlsperger, Präsidiumsmitglied beim VfB Stuttgart, erklärte der "Bild" vor der WM: "Er war immer Stammspieler und ist (...) sicher der erste, an den man beim Thema Nationalteam denkt. Die Qualität dafür hat er".
Jonas Hector ging, der Liebe zum Effzeh wegen, in die zweite Liga. Ob Löw trotzdem auf ihn setzt, ist fraglich. Vielleicht nur, wenn er so auftrumpft wie Philipp Max: Absurde 13 Vorlagen lieferte der Sohn von Ex-Nationalstürmer Martin Max in der vergangenen Saison beim FC Augsburg. Gerade auf der chronisch unterbesetzten defensiven Linksaußenposition ein absoluter Glücksfall für Löw. Sollte er fit bleiben und ein ausgeglicheneres Verhältnis zwischen Offensivaktionen und Defensivdienst in sein Spiel bringen, wird Max (24) noch in diesem Fußballjahr zum Nationalspieler.
Ein klassischer Spieler für den einleitenden Pass, an dem es der DFB-Elf bei der WM 2018 fehlte: Arne Maier (19). Er schaltet sich aus der Tiefe ins Offensivspiel ein, sorgt für Tempoverschärfungen und ist dabei auch noch dribbelfest. Nach der A-Jugendmeisterschaft im Sommer ist er diese Saison gesetzt bei den Hertha-Profis. Könnte den 31-jährigen Sami Khedira früher in Rente schicken, als es ihm lieb ist.
Kein Rasen-Mozart (75 Prozent Passquote) und zu oft zu spät am Ball (49 Fouls) – und doch genau der Spielertyp, der jedem Team gut tut. Maxi Eggestein ist 21 und sein wichtigstes Attribut ist sein Mut: Der Mut, den ambitionierten Diagonalball zu spielen. Der Mut, das eins gegen eins zu suchen. Mit seiner Laufintensität ist er der Spieler hinter den Spitzen, der dort Löcher reißen kann, wo Özil oft ratlos nach der Lücke suchte. Löw, der den 28-jährigen Kroos zum Schlüsselspieler für den Neuanfang erklärte, könnte Eggestein in einer langen Saison als Alternative auf dem Zettel haben.
Kai Havertz von Bayer Leverkusen ist nicht irgendein Bundesliga-Teenager. Er ist unangefochtener Stammspieler der Werkself und der jüngste Spieler aller Zeiten mit 50 Bundesliga-Spielen (18 Jahre und 307 Tage). Mittlerweile hat er schon 55 Bundesligaspiele absolviert (sieben Tore/15 Vorlagen). Er kann alle Positionen im Mittelfeld spielen. Havertz bewegt sich klug auf dem Feld und hat ein sehr gutes Raumverhalten, unter Rücksicht seines Alters ist das schlicht herausragend. Löw wird nicht mehr lange an Havertz vorbeikommen. Vor allem, weil der Bundestrainer auf dieser Position jemanden braucht.
"Wenn der nicht Nationalspieler wird, höre ich mit Fußball auf." Das sagte Kevin-Prince Boateng im Februar über Marius Wolf, seinen damaligen Mitspieler bei Eintracht Frankfurt ("Kicker"). Wolf glänzte in Eintrachts Pokalsieg-Saison mit Einsatzwillen, Laufstärke und vor allem: Scorerpunkten. In der Bundesliga war er in 28 Spielen an 14 Toren direkt beteiligt. Der 23-Jährige ist eine Allzweckwaffe im Mittelfeld und im Sturm, "The Guardian" nahm ihn sogar in seine Top Ten der europäischen "Breakthrough Stars" auf. Wenn er jetzt bei seinem neuen Klub Borussia Dortmund sein Potenzial abrufen kann, sollte Jogi ihn mit einer Berufung in die Nationalelf belohnen – es sei denn, er will, dass KPB seine Pistolen an den Nagel hängt...
Und Müller? Der steht wohl vor der wichtigsten Saison seiner Karriere. Nachdem es jahrelang nur nach oben ging, ist er auch beim FC Bayern nicht mehr unumstritten und hofft unter dem neuen Coach Kovac wieder Topleistungen zu bringen. Die braucht er, um in der Nationalmannschaft gesetzt zu sein.
14 Tore, mehr als doppelt so viele Torschussvorlagen, neun Assists: Mark Uth war vergangene Saison on fire. Der 27-jährige Neu-Schalker, der sich seine Sporen in der niederländischen Eredivisie verdiente, ist ein Sturmtank alter Schule. Er ackert, er lauert, er netzt ein. Timo Werner in Ehren, aber einen Stürmer, der vor dem Tor noch drei Pirouetten dreht, braucht keiner. Eher einen Knipser, der den Ball auch mal "einfach ins Tor wichst", um es mit Schalkes Clublegende Ernst Kuzorra zu sagen.
Muss man diesen Typen eigentlich ernsthaft noch anpreisen? Englischer Meister 2018, Young Player Of The Year 2018, 25 Torbeteiligungen, blitzschneller Antritt, athletische Finesse mit Ball am Bein – und doch verzichtete Löw auf ihn. Leroy Sané ist ein Kicker, der Spiele entscheidet. Egal ob für Schalke, Man City oder den DFB. Dem 22-Jährigen sollte die gerechte Chance im Bundesadlertrikot eingeräumt werden, die Bankdrücker Draxler immer wieder erhält.
(mit dpa/sid)