In der Hinrunde besiegte Schalke um Dominik Drexler (l.) den VfB Stuttgart und Hiroki Ito mit 2:1. Bild: imago images / Laci perenyi
Interview
Im watson-Interview analysiert Bundesliga-Legende Kevin Kurányi die Situation seiner Ex-Klubs und spricht über die komplizierte Situation der Stürmer bei Schalke 04 und dem VfB Stuttgart.
Der Sonntag in der Fußball-Bundesliga könnte eine erste Vorentscheidung im Abstiegskampf liefern. Gleich vier der fünf Mannschaften aus dem Tabellenkeller treffen in direkten Duellen aufeinander.
Als Letzter muss der VfB Stuttgart (20 Punkte) mit Neu-Coach Sebastian Hoeneß beim 15. der Tabelle in Bochum (26 Punkte) antreten. Am Sonntagabend ist dann noch Schalke 04 auf Rang 17 mit 21 Punkten bei der TSG Hoffenheim zu Gast, die mit 25 Punkten auf Platz 15 steht.
Für zwei der vier Teams stand auch Bundesliga-Legende Kevin Kurányi jahrelang auf dem Platz. In 261 Bundesliga-Spielen für den VfB Stuttgart und Schalke 04 erzielte er 111 Tore.
watson: Herr Kurányi, schauen Sie aktuell gerne auf die Bundesliga-Tabelle?
Kevin Kurányi: Auf keinen Fall. Es tut echt weh, meine beiden Ex-Teams in der Bundesliga so zu sehen.
Die beiden Traditionsvereine stehen nicht nur punktemäßig ganz unten, sondern stellen auch die schwächste und drittschwächste Offensive der Liga: Fehlt beiden ein Kevin Kurányi im Sturm?
(lacht) Das sagen viele Leute, aber es fehlt bei beiden Teams am Gesamten. Es ist nicht so, dass ein Stürmer nicht trifft, sondern er braucht eine Mannschaft, die ihm Vorlagen gibt. Wenn die gesamte Mannschaft offensiv agiert und sich Torchancen herausspielt, ist auch ein Stürmer gut – wie ich mitmeinen Teams damals.
Kevin Kurányi macht für Stuttgart und Schalke über 300 Bundesliga-Spiele. Bild: dpa / Marijan Murat
Der VfB erspielt sich sogar Möglichkeiten, hätte laut Understat gemessen an den Chancen sogar 15 Punkte mehr holen müssen. Die Chancenverwertung mit 7,5 Prozent ist hingegen die zweitschlechteste der Liga.
Sie haben als Mannschaft gerade viele Probleme und dann kommt die Unsicherheit vor dem Tor dazu, weil man eben ganz unten in der Tabelle steht. Dadurch bist du vor dem Tor nicht so locker, als würdest du auf Platz zwei, drei oder vier stehen. Aber dafür haben sie aktuell nicht die Qualität.
Warum ist die nicht vorhanden?
Man hat immer Spieler geholt, die vielleicht sportlich gut sind, aber sich zum Teil nicht für den Verein zerreißen und nicht mit ihm identifizieren. Jede Mannschaft braucht mindestens drei Leader, aber in Stuttgart fehlen Spieler, zu denen die anderen aufschauen und sagen: Wir gehen hinterher.
Wer ist aktuell der Leader beim VfB?
(überlegt lange) Mavropanos. Und Sosa, wenn er gut drauf ist.
Mit Sebastian Hoeneß ist seit Montag der vierte Trainer in dieser Saison im Amt. Es ist der 22. Trainer der Stuttgarter seit 2007.
Ich finde es unglaublich, wie der Verein sich hat hängen lassen. Die Strukturen sind einfach komplett durcheinandergeraten. Das zeigt schon, dass es in der Führungsetage nicht stimmt, beziehungsweise keine Kontinuität gibt.
In dieser Statistik kann nur Schalke mithalten. Dort waren 24 Trainer seit 2007 an der Linie. Warum kehrt bei beiden Vereinen nie Ruhe ein?
Es gibt immer wieder Nebengeräusche und Personen, die meinen, es besser zu können. Nur machen sie es dann schlechter als ihre Vorgänger.
Wie können die Klubs diesen Teufelskreis durchbrechen?
Indem sie ehemalige Spieler einbinden, die den Verein leben. Das wird bei beiden viel zu wenig gemacht. Bayern München ist so erfolgreich, weil so viele ehemalige Spieler im Verein arbeiten, die Fußball-Wissen auf höchstem Niveau haben und wissen, worauf es ankommt.
Beim VfB sind mit Philipp Lahm und Sami Khedira als Berater und Christian Gentner als Leiter der Lizenzspielerabteilung ehemalige Gesichter des Vereins dabei.
Das ist gut, aber auch kein Allheilmittel. Die Jungs brauchen Zeit, um sich in diese Rollen einzuarbeiten. Und hoffentlich hilft es, damit der Verein wieder in die Spur findet.
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Einen Punkt vor dem VfB steht aktuell noch Schalke. Auch, wenn ihre Chancenverwertung von 4,7Prozent sogar mit Abstand die schlechteste der Liga ist. Zweitliga-Torschützenkönig Simon Terodde konnte nicht an seine Trefferquote anknüpfen.
Für Terodde tut es mir wirklich leid. Er ist ein Weltklasse-Zweitligaspieler, aber in der Bundesliga schafft er es einfach nicht, diese Leistung zu zeigen.
Stattdessen kam mit Michael Frey im Winter ein neuer Stürmer, der auch noch bei null Treffern steht. Was würden Sie ihm raten?
Ich würde Extra-Training machen und versuchen, meinen Kopf irgendwie freizubekommen. Als Stürmer würde ich meine Außenbahn- und Mittelfeldspieler anschreien, dass sie mich anspielen sollen, damit ich ein Tor schieße und diese Sicherheit im Kopf bekomme.
Im Vergleich zum VfB war Schalke zum Ende der Hinrunde mit neun Punkten eigentlich schon abgestiegen, holte jedoch kontinuierlich Punkte und ist plötzlich wieder mittendrin im Abstiegskampf. Grenzt das an ein Wunder?
Mit dem neuen Trainer haben sie es in der Rückrunde viel besser gemacht. Sie haben zu null gespielt, zwei Spiele gewonnen und mischen nun wieder voll mit. Jetzt muss es nur noch mit dem Toreschießen funktionieren.
Welchen Einfluss hat es gerade bei Schalke, dass durch die Fans nie negative Stimmung aufkam?
Das ist das Wichtigste. Vor ein paar Jahren gab es Streit und hässliche Szenen zwischen den Fans und den Spielern, das hilft nicht, das zieht zusätzlich runter. Schalke 04 lebt von der besonderen Fan-Gemeinschaft und dass diese alles dafür tun, um den Verein in der Bundesliga zu halten. Jeder Spieler von Schalke kann stolz sein, solche Fans hinter sich zu haben.
Für beide geht es am Ostersonntag in direkte Abstiegsduelle. Schalke muss beim 15. in Hoffenheim ran, Stuttgart trifft auf Bochum, die auf Platz 14 stehen.
Das sind beides Sechs-Punkte-Spiele. Ein Unentschieden würde keinem der vier Teams helfen, aber mit einem Sieg könnte man zumindest kurz durchschnaufen.
Halten Schalke und Stuttgart am Ende der Saison die Klasse?
Ja, ich glaube an Wunder.