
Sternekoch Tim Raue schaut streng – ist es aber meistens gar nicht.Bild: dpa / Oliver Berg
Interview
Im Interview mit watson spricht Sternekoch Tim Raue über seine neue Show, über die Arbeitsmoral der Gen Z, schweineteure Erdbeeren und preiswerten Wein.
20.03.2025, 17:3320.03.2025, 17:33
Tim Raue rauscht in sein Berliner Restaurant und entschuldigt sich für drei Minuten Verspätung. Der Promi-Koch ist vor dem Gespräch noch mürrisch – er hat ein anstrengendes Meeting hinter sich.
Seine Stimmung verbessert sich aber, als er gefragt wird, ob man ihn duzen darf. Darf man, in seinem Alter freue er sich schon wieder darüber. Der 50-Jährige betreibt viele Restaurants und ist regelmäßig in TV-Sendungen wie "Kitchen Impossible", "Raue – Der Restaurantretter" oder in "Tim Raue isst!" zu sehen.
Um diese Show, die bei MagentaTV läuft, soll es auch im watson-Interview gehen.
Watson: Wie unangenehm bist du selbst als Restaurant-Gast?
Tim Raue: Ich finde die Frage unverschämt. Sie müsste lauten, warum bist du so ein toller Gast? Das wäre der richtige Ansatz.
Das wäre die wohlwollende Version der Frage gewesen.
Es ist ja sehr deutsch, sich auf das Negative zu stürzen. Ich bin ein extrem positiver Mensch. Dadurch, dass ich so im Fokus stehe und so viel kritisiert werde, bin ich durchaus sensibilisiert. Bevor ich über jemanden was Negatives sage, würde ich erstmal grundsätzlich das Positive herausheben. Wenn ich essen gehe, bin ich eigentlich relativ unkompliziert.
Was bedeutet das?
Wenn mir etwas nicht passt, ich aber zur Änderung beitragen kann, dann sage ich das, freundlich und höflich. Meine Oma hat mir beigebracht, wenn du nichts Gutes zu sagen hast, halt die Klappe. Was ich nicht mache, ist zu sagen: "Also das Schnitzel ist ja ganz gut, aber ihr könnt es ein bisschen stärker salzen." Das, finde ich, steht mir nicht zu.
Gerade lief eine neue Folge von "Tim Raue isst!" bei MagentaTV. Dort hast du die beste Bulette bei Georg Weil auf dem Münchner Viktualienmarkt gefunden. Sind das wirklich deine Entdeckungen?
Ja, das Format habe ich selbst entwickelt, wobei da muss man ja nicht viel entwickeln. Ich gehe irgendwohin, esse und gebe da dem einen oder anderen ein Scheinwerferlicht, der es bis dato nicht hatte.

Bei "Tim Raue isst!" drehte sich zuletzt alles um ein Fleischpflanzerl aus München.Bild: MagentaTV / Christian Zachris
Warum widmest du den Buletten, dem Schnitzel, dem Döner jeweils ganze Folgen und nicht der Spitzenküche, aus der du kommst?
Die Erwartungshaltung ist eben nicht die, die besten Restaurants zu zeigen. Das ist toll, dafür gibt es aber genug Restaurantführer. Ich zeige lieber das, was ich zwischen den Sterne-Restaurants erlebe, wenn ich unterwegs bin. Zu zeigen, was der Geschmack Deutschlands ist, in einer Zeit, in der Deutschland sehr nach rechts und links driftet.
Wie meinst du das?
Wir sehen durch das Format, welche Menschen wir hier integriert, was sie mitgebracht haben und dass es ein sehr armseliges Dasein in diesem Land wäre, wenn wir nicht mehr Döner, Pizza oder Vietnamesisch essen könnten. Aber auch zu feiern, was uns in Deutschland ausmacht, was wir ja auch gerne vergessen. Die Bulette ist so was Urbayerisches, im Generationsbetrieb gemacht, die einfach alle sozialen Schichten verbindet. Da geht jeder hin, ob er einen Porsche oder ein Fahrrad hat. Weil einfach das Fleischpflanzerl so geil ist.
"Eine Aufmerksamkeitsspanne haben, wo jede Mücke noch ein geduldigeres Vieh dagegen ist."
Tim Raue über die Gen Z
Georg Weil hat in der Folge auch über personellen Nachwuchs gesprochen, den er nicht in Deutschland findet. Warum wollen junge Menschen nicht in die Gastro?
Das Problem ist, dass in den letzten Jahrzehnten sehr viele Menschen Abitur gemacht haben, dadurch ist im Handwerk ein extremer Fachkräftemangel entstanden. Ich weiß auch nicht, warum in der Gastronomie so gerne über die Arbeitszeiten gejammert wird. Und ich frage mich, wieso ist Arbeit so negativ konnotiert?
Du hast Arbeit nicht so negativ gesehen, wie große Teile der Gen Z?
Für mich war klar: Bis ich das Geld verdiene, damit ich reisen kann, muss ich davon leben, was ich in Büchern lese oder von den Menschen höre. Diese Investitionen in sich selbst sind so wichtig. Was kannst du denn sonst mit Zeit machen, was macht die Gen Z damit? Sinnfreie Videos auf Twitch und Tiktok gucken, eine Aufmerksamkeitsspanne haben, wo jede Mücke noch ein geduldigeres Vieh dagegen ist. Das bringt dir nichts für dein Leben.
Work-Life-Balance ist heute offensichtlich wichtiger als in vorangegangenen Generationen.
Diese Generation hat bei ihrem Gejammer, wie wenig sie bitte arbeiten und wie viel sie leben wollen, völlig vergessen, dass unser Sozialsystem in der Zukunft so nicht funktionieren wird. Wenn nicht jeder seinen Teil leistet, dann geht es irgendwann nicht mehr, dass jeder zum Arzt gehen kann, wenn er krank ist oder ins Krankenhaus, wenn ihm was fehlt. Und das wird viel schlimmer werden.
Im Ausland scheint die Arbeitsmoral unter jungen Leuten noch eine andere zu sein.
Ich frage mich bei der Gen Z in Deutschland: Warum seid ihr denn so, warum wollt ihr ein Spiel spielen und nicht zählen, wer wie viele Tore schießt und wer gewinnt? Und dann kommst du nach Indien, China oder auf die Philippinen. Dann siehst du, wie schrecklich hungrig die Leute dort sind. Wenn wir die auf den Arbeitsmarkt lassen würden, die würden richtig Einsatz zeigen.
"Niemand muss sich am Ausbildungsplatz beleidigen lassen, das ist indiskutabel."
Worauf können sich Menschen einstellen, die eine Ausbildung in der Gastronomie beginnen?
Nur weil du irgendwo anfängst, heißt das nicht, dass du dort in einem sklavischen Arbeitsverhältnis bist, sondern du kannst jederzeit gehen. Ich würde mich daran orientieren, was mich interessiert, mir den Betrieb angucken und beim Probearbeiten mit den Menschen um mich herum sprechen. Das wird einem sehr schnell einen Eindruck geben, ob man dahin passt oder nicht.
Wie hart ist so eine Ausbildung, wie rau ist der Ton heutzutage in der Küche?
Eins muss man klar sagen: Niemand muss sich an welchem Ausbildungsplatz auch immer beleidigen lassen, das ist indiskutabel. Grundsätzlich ist der Ton in der Gastronomie kein anderer, als in anderen Berufen, in denen du Stoßzeiten hast.
Apropos Stoßzeiten: In Großstädten gibt es Maßnahmen wie No-Show-Gebühren, die man beim Reservieren beachten muss. Was hältst du davon?
Wir machen es ganz einfach: Wenn ich mich nicht darauf verlassen kann, dass du kommst, nehme ich dich nicht als Gast. Das ist so, als würdest du Freunde einladen und dann kommen die einfach nicht. Und die sagen noch nicht mal, dass sie nicht kommen. Sondern die melden sich einfach nicht. Das ist schon extrem unangenehm.
Wie gehst du mit Kritik daran um?
Du musst für dich selbst die Entscheidung treffen, ob du in der Lage bist, negative Kommentare und negatives Feedback ignorieren zu können. Und ich kann das. Ich kann den Menschen das so erklären, dass es für mich und hoffentlich auch für sie verständlich ist. Und wenn sie es nicht verstehen, dann werden sie nicht unsere Gäste sein.
Gerade geht bei Food-Influencer:innen eine Erdbeere aus Japan viral, die 18 Euro pro Stück kostet. Kannst du den Hype nachvollziehen?
Ja, die habe ich schon häufig gegessen. Das sind japanische Erdbeeren einer ganz besonderen Sorte. Und ich finde, die sind jeden Cent wert. Weil diese eine Erdbeere, die schmeckt so, als wärst du in der Erdbeerzeit auf einem Erdbeerpflückfeld. Dort kriegst du ein Körbchen, das pflückst du schön brav voll, hast die Finger vollgesaut vom Pflücken, dann fängt dieser Erdbeersaft irgendwann an zu trocknen und hat einen die Nase einnebelnden Duft, der dich glücklich macht. Und das schafft eine einzige Erdbeere. Wie viel dir das wert ist, das bleibt ja völlig dir überlassen.
Zum Schluss: Hast du einen Wein-Tipp für unter 20 Euro pro Flasche, mit dem man sein Date beeindrucken kann?
Das Weingut Jochen Dreissigacker. Das sind fantastische Weine, die wir in unseren Restaurants ausschenken. Die Weine sind so, als würdest du mit Füßen über eine Frühlingswiese laufen, auf der so ein Hauch von Tau liegt, mit weißen und gelben Fruchtaromen. Die fangen bei 15 Euro an.
Klingt, als könnte man damit tatsächlich jemanden beeindrucken.
Vor allem kann man sagen, dass Tim Raue den Wein empfohlen hat.