Als "deep" wird mir "Thunderbolts*" angekündigt, als ich es mir kurz vor Beginn der Pressevorführung im Kinosessel gemütlich mache. Die Filmkritik würden ihn loben als einen "seit langem mal wieder richtig guten Marvel-Film", erzählt eine Disney-Mitarbeiterin euphorisch.
Ich bin gespannt. Mit dem Wort "deep" assoziiere ich eigentlich eher eine Personenbeschreibung, die vor allem bei meinem 14-jährigen Ich häufig Verwendung fand.
Heute steht es für mich retrospektiv für das Gegenteil der eigentlichen Bedeutung: Man hat das Gefühl, gerade total tiefgründig zu sein, kratzt aber irgendwie nur an der Oberfläche. So geht es mir auch ein wenig mit "Thunderbolts*".
Achtung: In diesem Text kommen wenige Spoiler vor. Der Plot wird (ohne Namen der Charaktere zu nennen oder ins Detail zu gehen) allerdings nur grob umrissen.
Dass es um mentale Gesundheit geht, wird von Anfang an deutlich. Yelena (gespielt von Florence Pugh) hält in den ersten Minuten einen Monolog darüber, wie schlecht es ihr geht.
Sie hadert mit all der Gewalt, die sie Menschen in ihrem Job als Auftragskillerin schon angetan hat und dem Verlust ihrer Schwester (Black Widow). Sogar ein Suizid wird kurz angedeutet, der dann doch keiner ist. Die seelische Zerrissenheit der Protagonistin könnte dringlicher nicht inszeniert werden.
Dann kommt die Handlung ins Rollen. Es folgen Actionszenen, lustige Momente, toll eingefangene Bilder – klassisch für einen Marvel-Film halt.
Yelena erhält den Auftrag, jemanden auszuschalten, der ihre Auftraggeberin beklauen möchte. Bei dieser Mission formieren sich dann auf einigen Umwegen die Thunderbolts, eine Gruppe aus verschiedenen Charakteren mit unterschiedlichen Skills und Superkräften.
Die Gabe einer Person im Film hat so gar nichts mit Action zu tun: Sie kann über Berührung düstere Erinnerungen in anderen erwecken, die besonders von Schuld geprägt sind.
So wird Yelena, als sie von ihr berührt wird, in ihre traumatische Kindheit zurückversetzt. In derartigen Momenten geht der Film tatsächlich wortwörtlich in die Tiefe.
Und genau dieser Moment schafft offenbar auch Verbindung, denn nur kurze Zeit später offenbart Yelena, wie leer sie sich fühlt.
Der kleine Seelenstriptease wirkt jedoch deplatziert, da er mitten in einer eigentlich bedrohlichen Situation erfolgt, in der es um Leben und Tod geht. Dass die Auftragskillerin sich gerade in diesem Moment mal kurz zwei Minuten für eine kleine Therapiestunde nimmt, lässt es dezent unauthentisch wirken.
Vor allem enttäuschend ist mit Blick auf den Mental-Health-Fokus jedoch der "Plot", der im Gegensatz zu vielen Szenen daran scheitert, tiefgründig zu sein.
Im Grunde ist die Message letztlich: Habt euch lieb, drückt euch mal, zusammen schaffen wir das! Das ist herzerwärmend und nett und zugleich oberflächlich und leicht pathetisch.
Dass es darauf hinausläuft, ist gerade so ernüchternd, weil es im Grunde die Komplexität und Brutalität von psychischen Erkrankungen verkennt, die zuvor im Film angerissen wurde.
Und das gelingt "Thunderbolts*" an einigen Stellen sogar gut. Themen wie Suchterkrankungen, häusliche Gewalt und Traumata wurden sowohl bildlich als auch schauspielerisch erstklassig in Szene gesetzt.
Gleichzeitig wird der Film durch sein Ende genau diesen Themen nicht ausreichend gerecht. So schnell das (mentale) Problem gegen Ende riesig wird und gravierende Ausmaße anzunehmen droht, so schnell verpufft es auch wieder, weil man kurz darüber redet, knuddelt und plötzlich Friede, Freude, Eierkuchen ist.
Dieser Kontrast irritiert. Ein schwerwiegendes psychisches Störungsbild – wie Marvel es hier selbst gezeichnet hat – kann nicht verpuffen, weil die betroffene Person in den Arm genommen wird.
Liebe und Freundschaft sind zwar die Voraussetzung für Heilung oder zumindest die Stabilisierung der Psyche, doch es braucht auch Zeit und Energie. Und außerdem braucht es Therapie und in vielen Fällen auch Psychopharmaka.
Für diese Themen nimmt sich der Film jedoch keine Zeit. Stattdessen betont Yelena nur, wie wichtig es ist, sich vor seinen Problemen nicht zu verstecken, sondern sich diesen zu stellen. Eine weitere Aussage, die wenig tiefgründig ist, zumal dieser Take in gefühlt jedem Film vorkommt.
Und so bleibt "Thunderbolts*" leider tatsächlich nur "deep" im Sinne von: Hätte mich emotional inspiriert, als ich 14 Jahre alt war.
Er skizziert zwar die Last von mentalen Problemen und ist dabei durchaus unterhaltsam, schafft es aber letztendlich nicht über eine fast schon kalenderspruchartige Klischee-Message hinaus.
Vielleicht waren meine Erwartungen aber auch einen Tick zu hoch. Denn dass Disney sich überhaupt traut, einen Marvel-Film über psychische Belastungen und Traumata zu machen, ist erstmal nicht selbstverständlich und hat an sich schon ein Lob verdient.
Die ernste Tonalität des Films mit gut gesetzten lustigen Pointen hier und da macht "Thunderbolts*" zu einem Film, den man sich definitiv gut anschauen kann. Gerade im Vergleich zu diversen Nieten aus dem MCU ist der Film dann also vielleicht doch verhältnismäßig gut gelungen.