Was hat uns das Jahr 2024 doch mit starken Musik-Comebacks beschenkt: Da waren Oasis und Linkin Park, die beide ihre Reunion verkündeten. Auch Gwen Stefani war mit No Doubt nach zwölf Jahren Funkstille wieder auf einer Bühne zu sehen.
Und dann waren da noch die ganz großen Legenden: Michael Jackson, Freddie Mercury oder Amy Winehouse starteten nach langer Zeit endlich wieder durch.
Moment, bitte was?!
Ja, richtig gelesen: Auf Youtube kursiert ein neuer Trend, bei dem längst verstorbene Stars plötzlich "wiederauferstehen", um bekannte Hits zu covern, die lange nach ihrem Tod erschienen.
Chester Bennington, der 2017 verstorben ist, singt etwa den neuen Linkin-Park-Song, Freddie Mercury covert ein Stück von Adele, das ganze 20 Jahre nach seinem Tod erschien. Natürlich: Hier ist Künstliche Intelligenz im Spiel. Aber darf die das überhaupt?
Watson hat mit einem Medienrechtler und einem Ethik-Experten gesprochen, um zu erfahren, ob diese Art KI-generierter Musik zum einen legal ist, und zum anderen moralisch vertretbar.
Das Phänomen ist so neu, dass es hierzu noch kein klares Gesetz gibt. Aber es lassen sich Dinge von geltenden Rechten ableiten. Christian Solmecke, Rechtsanwalt für Internet- und Medienrecht, sieht es grundsätzlich als problematisch an, die Stimmen Verstorbener zu verwenden.
Für ihn kommt dabei "eine Verletzung des 'Rechts an der eigenen Stimme' in Betracht. Das ist eine Spielart des postmortalen Persönlichkeitsrechts. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die kommerzielle Nutzung der Stimme eines verstorbenen Künstlers dieses Recht verletzen und Schadensersatzansprüche auslösen kann."
Solmecke räumt ein, dass diese Ansprüche nur bis zu zehn Jahre nach dem Tod gelten und somit bei vielen der Stars keine Option mehr darstellen. Eine Urheberrechtsverletzung wäre ein weiterer Punkt, der die Cover-Songs angreifbar machen könnte. Allerdings: Es ist die Musik, die urheberrechtlich geschützt ist – nicht die Stimme eines Menschen.
Offenbar bedarf es für diese Art von KI-Nutzung neue Regelungen. Der Medien-Anwalt verweist darauf, dass die EU-Urheberrechtsrichtlinie 2026 neu geprüft werden soll. Möglicherweise wird dann auch über KI-generierten Content gesprochen.
Auch Oliver Zöllner, der als Professor an der Hochschule der Medien in Stuttgart unter anderem Digitale Ethik lehrt, findet den neuen Youtube-Trend problematisch. Er sieht in den KI-generierten Stimmen "den künstlerischen Ausdruck eines verstorbenen Menschen, den man gewissermaßen nicht sterben lässt und ihm so einen Teil seiner Würde nimmt."
Aber nicht nur der Stars wegen sei der Trend bedenklich:
Anstatt sich also künstlich generierte Inhalte anzuhören, mit denen die Stars nie wirklich etwas zu tun hatten, sieht Zöllner es als "tröstlicher" an, "alte, authentische Aufnahmen des Künstlers oder der Künstlerin anzuhören und Revue passieren zu lassen".
Trotz aller rechtlichen und ethischen Einwände haben sich die KI-Songs bereits verbreitet. User:innen laden sie etwa auf Youtube, wo sie teils hunderttausende Klicks erreichen. Stellt sich nun also die nächste Frage: Wenn die vielen Streams Erlöse einbringen – wem stehen diese zu?
Oliver Zöllner verweist darauf, dass hierzu grundsätzlich noch vieles offen ist: "Wie man künstlich generierte stimmliche und musikalische Darbietungen vergütet, ist im Detail zurzeit noch in der Diskussion – und die ist kompliziert."
Aber: Juristisch ist die Sache in diesem Fall recht eindeutig. Christian Solmecke stellt klar: "Werden durch die Verletzung des postmortalen Persönlichkeitsrechts Einnahmen generiert, spricht viel für einen Schadensersatzanspruch der Erben in Höhe der erzielten Einnahmen."
Und ohnehin ist die Musik, die hier "gecovert" wird, ja urheberrechtlich geschützt. Den User:innen stehen die Erlöse nicht zu. Ach ja, wo wir eben schon vom Erben gesprochen haben:
Vielleicht lassen sich die obigen Einwände ja umgehen, wenn man vor der Nutzung der Stimme eines verstorbenen Stars die Erb:innen um Erlaubnis bittet. Christian Solmecke erklärt, dass es auch hierzu kein klares Gesetz gibt.
Bei alldem zeigt sich: So richtig klar wird es eher selten. Das Ganze scheint umstritten, schwebt aber in einer schwer greifbaren Grauzone. Eine Sache ist für Oliver Zöllner wiederum klar: Wer hier die Verantwortung trägt.
"Die tragen beide Seiten: die Programmentwickler und die Nutzenden." Der Ethik-Experte findet: "Man muss nicht alles technisch Mögliche entwickeln, nur weil es geht, und man muss nicht alle verfügbaren Mittel nutzen, nur weil es sie halt gibt. Es gibt immer die Möglichkeit, sich gegen das Falsche oder Schlechte zu entscheiden und für das Richtige und Gute."
Für Zöllner stellt sich sowieso die Frage, ob diese Art von KI-Nutzung notwendig ist: "Freddie Mercury, Michael Jackson, Prince und David Bowie leben in ihren originalen Werken weiter, die ohnehin überall verfügbar sind."