Ich bin Witwe – und zum ersten Mal auf einem Date. Es ist der Horror.
Lea ist mit Anfang 30 Witwe geworden. Jetzt beginnt sie wieder mit dem Dating. Folge 3 ihrer Kolumne
08.07.2018, 19:1314.08.2018, 09:12
Lea laufer
Mehr «Leben»
Ich habe mich bei "Gleichklang" angemeldet, einem Dating-Portal für Menschen in speziellen Lebenssituation und ich fühle mich definitiv in einer speziellen Lebenssituation.
Im vergangenen Frühling ist der Mann gestorben, mit dem ich 14 Jahre meines Lebens verbracht habe. Er war mein erster Sex, meine erste Liebe, mein bester Freund, der Vater meiner Tochter und meines Sohnes.
Und ich musste mich fragen: Ab wann ist es okay, wieder Gefühle zu entwickeln:
Ich habe einen sehr ehrlichen Text auf "Gleichklang" über mich verfasst. Die lange Beziehung, der
Status "Witwe", die Kinder, alles auf dem Tisch. Und während ich zweifle, ob
ich an dieser Stelle zu viel über mich erzähle, gibt es erste Versuche der
Kontaktaufnahme.
Die Männer,
die mir schreiben, sind ausnahmslos höflich, interessiert und bedienen alle
meine Erwartungen an das ökologisch-motivierte und sozial-engagierte Klientel
der Partnerbörse. Nicht, dass das für mich grundsätzliche Qualitätskriterien
bei der Männerwahl wären, aber in meiner zugegebenermaßen naiven Vorstellung
kann so jemand einfach kein Arschloch sein.
Einer
sticht dabei heraus. Er heißt Thomas, ist angehender Lehrer, hat ebenfalls
zwei Kinder und nach ein paar Mails stellen wir fest, dass wir überraschend nah
beieinander wohnen. Auf seinen undeutlichen Bildern zeigt er sich als
Naturbursche und trägt einen langen Bart.
In meinen Lagebesprechungen mit Freundinnen nenne ich ihn "den Weihnachtsmann".
Wir
klappern schriftlich die üblichen Themen ab: Interesse an Film-Genres,
Musikrichtungen, Wochenend- und Freizeitgestaltung. Dann Kinder und
Kindererziehung, Beziehungserfahrung, Wünsche für die Zukunft.
Er erzählt mir
von seinem WG-Leben, vom Containern und wie er aus Euro-Paletten eine komplette
Wohnungseinrichtung gebaut hat. Die Konversation ist nett, zuverlässig und
wirkt ehrlich. So geht es über mehrere Wochen.
"Schön
und gut" sagt mir eine enge Freundin, "aber willst du den auch mal irgendwann
treffen?" Wenn ich
ganz ehrlich mit mir selbst bin, weiß ich es nicht genau. Ich bin neugierig,
auf der anderen Seite habe ich wahnsinnige Angst.
Deshalb hätte ich mich beinahe gar nicht erst getraut...
Es ist schwer, das Menschen
verständlich zu machen, für die Dating ein integrierter Teil ihres Lebens ist.
Ich habe das Gefühl, die letzten 14 Jahre auf dem Mond verbracht zu haben.
Meine Vorstellungen von Dates speisen sich aus den Erzählungen von Freundinnen
und dem ausdauernden Konsum von "sex and the City" (die Serie, nicht die
Filme!).
Vor der realen Erfahrung habe ich Angst. Nicht, weil ich befürchte,
dass ein Mann mich in eine unangenehme Situation bringen könnte. Eher, weil ich
überhaupt nicht weiß, wie ich mich verhalten soll. Weil ich nicht einschätzen
kann, wie es mir damit gehen wird.
An einem
Wochenende knapp drei Wochen nach unserer ersten Kontaktaufnahme organisiere
ich eine Auswärts-Übernachtung für meine Kinder und verabrede mich mit Thomas
fürs Kino. Er bietet an, mich mit dem Fahrrad abzuholen. Eine halbe Stunde
bevor er kommt ziehe ich mich zum dritten Mal um (Klassiker), 10 Minuten vorher
entscheide ich mich, noch schnell ein Glas Wein zu trinken.
Eine
Freundin fragt nach einem Selfie und bestätigt, dass ich super aussehe, als
Thomas klingelt.
Wir
begrüßen uns mit einer Umarmung und ich fühle mich direkt unwohl.
Er sieht anders aus als auf seinen Bildern
Der Bart, von dem ich von Anfang nicht
wusste, ob ich ihn mag oder nicht, ist deutlich länger und ungepflegter als
angenommen, der Bauch dicker. Ok, auch er hat vorteilhafte Fotos von sich
ausgesucht, das kann man ihm nicht zum Vorwurf machen.
Wir setzen uns auf die
Räder und führen während der Fahrt eine gezwungen lockere Unterhaltung. Im Kino
angekommen bietet er mir selbstgedörrtes Obst aus einer Mehrzweckdose an. Auch
das ist ok, ja, nett sogar. Aber alles riecht ein bißchen muffig und ich fühle
mich komisch mit der erzwungenen Nähe des Kino-Doppelsitzes.
Nach dem Film
gehen wir spazieren und kurzzeitig hoffe ich, dass es nun lockerer wird. Aber
er redet in einem wahnsinnigen Tempo und wirkt unglaublich viel steifer als in
seinen Emails. Es ist nicht so sehr, was er sagt, sondern wie er es sagt.
Jede
seiner Bewegungen hat etwas aufgesetztes, comedianhaftes. Wir machen in einer
Bar halt. Er redet und ich kann seine Lippen wegen des Vollbarts kaum sehen,
nach jedem Schluck wischt er sich mit der überzogenen Gestik einer Cartoonfigur
den Bierschaum aus dem Bart.
Ich weiß, dass ich ihn niemals küssen möchte.
Irgendwann
traue ich mich, die Verabschiedung einzuleiten. Thomas sagt, er freue sich auf
ein Wiedersehen. Zu Hause angekommen schreibe ich ihm eine nette, aber klare
Absage zu weiteren Treffen und falle ins Bett, vollkommen verwirrt und
unsicherer als je zuvor.