"Schonungslos ehrlich" – die Mama-Kolumne ohne Insta-Filter
Mein Instagram-Feed ist seit einiger Zeit voll mit Accounts und Posts, in denen es darum geht, den Kindern ein möglichst diverses Leben vor Augen zu führen. Queer, BIPoC, Body Positivity und gender-neutral sind Schlagworte, auf die ich immer wieder stoße. Dabei spielen entsprechende Kinderbücher ein großes Thema.
Der Account @buuu.ch, dem ich ebenfalls folge, hat sich sogar auf diverse Kinderbücher spezialisiert. Seit ich häufiger Texte aus der Sichtweise von People of Color oder der LSBTIQ-Community lese, habe ich das Gefühl, es gehöre zu meinen Aufgaben, meinen Sohn von klein an darauf vorzubereiten, dass beispielsweise nicht jedes Kind in einer klassischen Vater-Mutter-Kind-Konstellation aufwächst. Nein, stopp, in einer hetero-normativen Familienstruktur. "Nur, wenn wir das 'Andere' kennenlernen, können wir Toleranz entwickeln", hat die Autorin Mirna Funk in einem Interview gesagt. Also habe ich mich inspirieren lassen und Bücher bestellt, in denen ein Mädchen bei seinen zwei Vätern wohnt.
Bücher, in denen nicht deutlich wird, ob Toni ein Junge oder ein Mädchen ist. Bücher, in denen Kinder mit unterschiedlicher Hautfarbe auftauchen. Bücher, in denen sich ein Junge wünscht, eine Meerjungfrau zu sein aka sich wie ein Mädchen zu kleiden. Und Bücher, in denen deutlich gezeigt wird, dass die meisten Menschen statt Supermodel-Maßen eher Hängebrüste und einen wabbeligen Hintern vorweisen.
Was mein Sohn dazu sagt? Nichts. Er stellt das gar nicht infrage. Zwar kennt er es von Zuhause und aus unserem Umfeld einzig und allein so, dass Mutter und Vater existieren und zusammenleben. Wenn es aber anders ist, ist es für ihn auch in Ordnung. Reicht es jetzt aus, ihm ein vielfältiges Lebensbild aufzuzeigen, um Toleranz so früh wie möglich zu verankern oder es ist es meine Aufgabe im Jahr 2021, ihn mit fast vier Jahren direkt aufzuklären, dass Kinder nicht nur durch Mann und Frau entstehen, sondern auch durch eine anonyme Samenspende? Und dass trans Männer eben auch ein Kind austragen können? Sollten Kinder neben dem Normalen eben auch das Andere kennen oder gibt es grundsätzlich kein Normal mehr?
Dazu fällt mir das Kinderbuch "Wo ist Papa?" ein, in dem es um zwölf vielfältige Tierfamilien geht, darunter ein schwules Gazellen-Pärchen mit Adoptivschildkröte, eine alleinerziehende Löwen-Mutter oder eine Wölfin, die Zwillinge durch einen Samenspender bekommen hat. Ich hatte mich gegen dieses Exemplar entschieden, weil es mir zu viel wurde.
Ich bekam das Gefühl, erst einmal die Grundlagen vermitteln zu müssen: wie er selbst entstanden ist, welche Unterschiede es zwischen Jungen und Mädchen gibt, dass eine Frau mit einem dicken Bauch nicht automatisch schwanger ist, wieso Menschen unterschiedliche Hautfarben haben und warum manche Eltern nicht zusammenleben. Dass sich einige Menschen mit ihrem biologischen Geschlecht nicht identifizieren können, hebe ich mir auf. Genauso die Thematik der künstlichen Befruchtung, die wiederum mit gleichgeschlechtlichen Eltern einhergeht.
Bei uns wird es also weiterhin einen ausgewogenen Mix aus Büchern geben, die die Lebenssituation meines Sohnes sowie die anderer Menschen widerspiegeln. Was mich jedoch nervt: dass manche diverse Kinderbuch-Autoren es gleich übertreiben müssen. Der anscheinend alleinerziehende Vater von Robert trägt in "Roberts weltbester Kuchen" natürlich rosafarbene Hasen-Hausschuhe.
Ich bin total dafür, dass Männer mehr Rosa, Lila und Pink tragen, weil ich diese Farbtöne liebe. Aber müssen es denn gleich Puschel-Wuschel-Pantoffeln mit Hasenohren sein, die ich mir als Frau auch nie kaufen würde? Die nähren schon wieder das Klischee des typisch homosexuellen Mannes. Und in "Überall Popos", in dem es um die Vielfalt unserer Körper geht (mit extra Stickerbogen "Think PoPo-Positiv!" – aha), trifft die Protagonistin Mila in der Damendusche des Schwimmbads auf unterschiedliche nackte Frauen: "Guck mal Mama, bei der Frau sieht die Scheide aus wie Lakritz [Milas Katze]! Alles voller Schnurrhaare! Und die da sieht aus wie ein Nacktmull…"
Auf das abstruse Bild der Schamhaare in Form von Katzenhaaren genauso wie auf die Beschreibung, dass manche Scheiden aussähen, "als würden sie einem die Zunge rausstrecken", hätte ich wirklich gerne verzichtet. Viel fortschrittlicher hätte ich es gefunden, wenn auch mal ein Penis zu sehen gewesen wäre, statt wieder ausschließlich nackte Frauenkörper. Doch als Milas Papa beim Sprung ins Becken seine Badehose verliert, wird lediglich seine Körperrückseite gezeigt. Im nächsten Bild hält er sich seine Hand vor das Geschlecht. War ja klar. Sexismus ist übrigens noch so ein Schlagwort…