Wenn alles richtig gut läuft, bekommen wir den Alltag irgendwie hin. Richtig gut laufen bedeutet: Alle sind gesund, keiner ist beruflich unterwegs, keiner befindet sich in einem akuten Entwicklungsschub und es stehen keinerlei Zusatzbelastungen an, wie Renovierungsprojekte oder ähnliches. Ein paar Wochen nach der Geburt meines zweiten Kindes lief es kurzzeitig gewohnt auf hohem Stresslevel, aber für unsere Verhältnisse gut.
Und dann wurde mein Mann am Knie operiert, weshalb er die nächsten sechs Wochen nicht auftreten darf. Heißt, von einem Tag auf den anderen war ich alleinerziehend mit drei Kindern und Hund. Das Aufteilen des Alltags fiel weg: Ich musste nicht nur morgens ein Baby anziehen, dem Vierjährigen Frühstück machen und den Kindergartenrucksack packen (und nebenbei Stillen, falls nötig), sondern meinen Sohn in mehrere Schichten Waldklamotten hineinkommandieren, ihn zum Kindergarten bringen, meinen Mann bei der Physiotherapie abliefern, ihn 30 Minuten später wieder abholen, ihn ins Büro fahren, mit dem Hund laufen gehen, einkaufen, das Kindergartenkind abholen, mir etwas zu essen kochen und später mit zwei Kindern, meist einem davon schreiend, den Mann wieder abholen.
Davon abgesehen, dass ich jeden einfachen Handgriff für meinen gehbehinderten Mann mitmachen muss, bleibt alles an mir hängen: Kinder bettfertig machen, ins Bett bringen, Wäsche waschen, die Küche halbwegs in Ordnung halten, Mülltonnen füllen und rausstellen, Hundekacke aus dem Garten auflesen, das übermüdete Baby im Wohnzimmer herumtragen. Alles andere, was nicht höchste Priorität hat, bleibt liegen.
Und nach einer Woche dieses Wahnsinns wird mir bewusst, dass sich Eltern nicht erlauben können, auszufallen. Kranksein ist keine Option, weil dann schlagartig das System Familie in sich zusammenfällt. Nun haben wir sogar eine Reinigungskraft, eine Babysitterin und Großeltern, die uns immer wieder unterstützen. Und dennoch baut sich Tag für Tag ein Druck dieser Zusatzbelastung auf mir auf.
Als ich mit Halsschmerzen aufwache, bekomme ich Panik. Auf keinen Fall krank werden! Ich drücke die Schmerzen mit Salbeitee und Lutschtabletten weg. Was wäre, wenn ich auch noch flach liegen würde? Könnten wir dann Haushaltshilfen und Nannys beantragen? Doch selbst wenn, wie soll so etwas auf die Schnelle funktionieren? Mein Sohn würde sich nie von einer fremden Person abholen lassen und braucht meistens ein halbes Jahr, bis er mit Unbekannten warm wird.
Unser Familienleben mit Kleinkind, Baby und Hund war auch vorher schon ein fragiles Bauwerk und jeden Tag können Teile davon zusammenbrechen. Wenn ich morgens feststelle, dass mein Sohn so hustet, dass er nicht in den Kindergarten kann, ist mein durchgetakteter Vormittagsplan innerhalb von Sekunden vernichtet.
Das nicht abgeholte Paket, das nur noch heute bei der Postfiliale gelagert wird, der dringende Anruf bei der Krankenkasse, den ich in Ruhe führen wollte, den Text, den ich bis mittags versprochen hatte zu schreiben, die Milch, die morgen fürs Müsli fehlen wird und dann ist da immer noch ein Baby, das gestillt, geschuckelt und manchmal ausschließlich getragen werden möchte.
"Welcome to my life" möchten mir Alleinerziehende wahrscheinlich zurufen. Schließlich gibt es genug Beziehungen, die gerade durch ein Kind in die Brüche gehen. Und ja, zum ersten Mal kann ich mich richtig hineinfühlen, wie es sein muss, mit der Verantwortung für Kinder völlig allein auf sich gestellt zu sein. Wie es sein muss, wenn mein Ausnahmezustand der Alltag ist. Obwohl das nicht ganz stimmt. Immerhin kann ich belastende Themen noch immer mit meinem Mann teilen, kurz nachdem ich ihm seine Thrombose-Spritzen geholt, ihm eine Wasserflasche gereicht, ihm ein Abendbrot zubereitet und sein Ladekabel für seinen Laptop gefunden habe.