Wenn's die ganze Familie auf einmal erwischt, bricht das Chaos aus.Bild: PantherMedia / LightField Studios
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"Schonungslos ehrlich" – die Mama-Kolumne ohne Insta-Filter
Exakt zwei Jahre lang bemühte ich mich sehr, mich und meine Familie vor dem Corona-Virus zu schützen. Zu Beginn, weil ich ein zweijähriges Kind zu Hause hatte und mich fragte, was passierte, wenn einer von uns beiden auf der Intensivstation liegen würde. Später, weil ich schwanger und noch nicht geimpft war. Endlich geimpft, wollte ich dann mein Neugeborenes verschonen. Ich betreute als eine der wenigen Kindergarten-Eltern unseren Sohn während des Lockdowns mehrere Monate zu Hause, ich reduzierte meine Kontakte auf ein Minimum, wir fuhren eineinhalb Jahre nicht in den Urlaub, ich nervte Besucher mit Schnelltests und überzeugte Familienmitglieder, sich impfen und boostern zu lassen. Nun hat es uns letzte Woche doch erwischt.
Hilflosigkeit plus Überforderung und totaler Erschöpfung
Mein Sohn fuhr das volle Programm auf – von Erbrechen über Fieber bis hin zu Schüttelfrost. Zwei Tage später waren mein Mann und das Baby positiv, am dritten Tag auch ich. Was folgte, war ein Gefühlsmix, den ich so bisher als Familie noch nicht erlebt hatte. Hilflosigkeit gepaart mit Überforderung und körperlicher Erschöpfung.
Unsere Autorin berichtet über die unschönen Seiten des Mutterdaseins – schonunglos ehrlich.bild: emmy lupin studios
Unsere Autorin...
...wurde mit Anfang 30 Mutter. Und kommt noch immer nicht damit klar, dass ihr altes, schönes Leben seitdem vorbei ist. Sie ist wütend, dass Eltern nie den Mut hatten, zu erzählen, was es wirklich bedeutet, ein Kind zu haben. Aus diesem Grund legt sie alle zwei Wochen den Finger in die Wunde – und berichtet schonungslos. Und weil sie weiß, dass Mütter sehr giftig werden können, wenn es um ihr Heiligstes geht, bleibt sie lieber anonym. Die täglichen Entrüstungsstürme ihres Sohnes reichen ihr völlig aus.
Nachdem mein vierjähriger Sohn zwei Tage fiebernd und erschöpft im Liegen verbrachte, Durchfall bekam und sowieso kaum noch etwas essen wollte, erreichten wir an Tag vier den Tiefpunkt: Das Baby hatte hohes Fieber, weshalb ich die Nacht durchwachte, um erst das Fieberzäpfchen rechtzeitig zu verabreichen und dann zu kontrollieren, ob es Wirkung zeigte.
Ich selbst bekam starke Kopfschmerzen und Hitzewallungen. Ich sehnte mich danach, mich auszuruhen. Und meinen Mann erwischte es so stark, dass er kaum aufstehen konnte. Der totale Knockout. Meinem Sohn ging es körperlich wieder besser, weshalb er Aufstehen, Anziehen und ein Frühstück forderte – plus Unterhaltungsprogramm. Während ich kraftlos das ältere Kind versorgte, stillte ich nebenbei nonstop, um den Flüssigkeitsverlust des fiebernden Babys auszugleichen.
In der nächsten Nacht googelte ich eine bei meinem Sohn aufgetretene ungewöhnliche körperliche Reaktion in Zusammenhang mit Covid-19, die mich beunruhigte. Doch statt eines Ergebnisses erhielt ich sämtliche andere Schlagzeilen, mit denen ich mich keinesfalls auseinandersetzen wollte: Steigendes Risiko für Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, nicht zu reden von Fatigue.
Weil wir zum ersten Mal wirklich betroffen waren, fing ich an, mir Sorgen zu machen. Über mögliche Schäden, die dieses Virus gerade bei meinem Sohn anrichtete und über mögliche Langzeitfolgen, die uns alle noch begleiten könnten. Darüber, dass die Infektion bei dem fünf Monate alten Baby hoffentlich nicht die bereits vorhandene Erkältung verschlimmern würde, denn sie bekam nachts so schon schlecht Luft.
"Was ist in ihn gefahren?, fragte ich meinen Mann. Hat das Virus jetzt sein Gehirn angegriffen?"
Aber am meisten machte mir der Charakter meines Sohnes Angst, nachdem er über den Berg war. Er entwickelte ein aggressives, provozierendes Verhalten, das ich so extrem noch nie bei ihm erlebt hatte. Er ging uns körperlich an, sprang auf meinen Mann, der sich kaum bewegen konnte oder ließ sich knapp neben dem Kopf seiner kleinen Schwester aufs Bett fallen.
Er schrie, verweigerte, schmiss mit Dingen und zerstörte. Kaffeetassen kippten um, Müslischalen gingen zu Bruch und ich wusste mir teilweise nicht zu helfen, während ich geschwächt mit fieberndem Baby versuchte, den großen Bruder davon abzuhalten, ihr den Arm zu verdrehen. Was ist in ihn gefahren?, fragte ich meinen Mann. Hat das Virus jetzt sein Gehirn angegriffen?
Aggression ist bei Kindern häufig ein Zeichen von Angst und Hilflosigkeit.Bild: www.imago-images.de / Mareen Fischinger
Rückblickend erkenne ich, dass das schlimmste an diesen Corona-Tagen nicht die Symptome, sondern die psychische Belastung waren. Die Sorgen um die Gesundheit der Kinder, die Unsicherheit, ob ungewöhnliche Körperreaktionen in so einem Fall Notfallmaßnahmen erfordern und die Geduld, die Auswirkungen mitzutragen. Meine Schwester, ausgebildete Trauma-Therapeutin, erklärte mir, dass Aggression ein Zeichen von Angst und Hilflosigkeit sei. Sie vermutete, dass meinem sehr sensiblen Sohn die Erkrankung der ganzen Familie große Angst machte.
Zwei Jahre lang hatten wir vor einer Ansteckung gewarnt, jetzt war diese scheinbare Katastrophe eingetreten. Das passte auch zu seinen Fragen, wann wir sterben würden. Die Reaktion auf diese große Unsicherheit, in der er sich befand, war Abwehr – auf allen Ebenen. Und die auszuhalten, brachte mich an meine Grenze. Eilten sonst die Großeltern zu Hilfe, wann immer es bei uns wackelte, waren wir dieses Mal auf uns alleine gestellt. Und da mein Mann ebenso ausfiel, blieb das meiste an mir hängen.
"Der Boden: ein Mix aus meinen hormonell bedingt ausfallenden Haaren und Staubknäueln. Mein Körper: vier Tage ungeduscht. Das Wohnzimmer: Chaos."
Zum ersten Mal wurde uns klar, wie fragil ein funktionierender Alltag ist, wenn beide Elternteile nicht mehr in der Lage sind, ihren Verantwortlichkeiten nachzukommen. Unser Haus verdreckte innerhalb weniger Tage. Als ich eines Abends den muffigen Schlafanzug meines Sohnes aus dem prall gefüllten Wäschekorb herauswühlte, weil ich es wieder nicht geschafft hatte zu waschen, dachte ich, so müsse es sich anfühlen, wenn Menschen aufgrund von Erkrankungen nicht mehr in der Lage sind, die Basics des Alltags zu bewältigen: Anziehen, Kochen, Wäsche, Körperhygiene und Sauberkeit.
Wir ließen abends das Geschirr am Esstisch stehen, stapelten die Töpfe in der Spüle, horteten die dreckige Wäsche. Der Boden: ein Mix aus meinen hormonell bedingt ausfallenden Haaren und Staubknäueln. In meinem Bett: Brösel eines Brotes, das ich dort gegessen hatte, weil ich es mit dem wütenden Sohn keine Sekunde länger am Abendtisch ausgehalten hatte. Mein Körper: vier Tage ungeduscht. Das Wohnzimmer: Chaos.
Nach sechs Tagen fühlten wir uns besser und mein Sohn wurde jeden Tag ein bisschen mehr er selbst. Als wir uns am zehnten Tag freitesteten, gingen wir zur Feier des Tages ein Eis essen und anschließend auf den Spielplatz. Auf dem Weg zur Eisdiele klammerte er sich so sehr an den Kinderwagen, dass er mich ausbremste.
Er ist grundsätzlich extrem schüchtern und fremde Menschen sind eine große Herausforderung für ihn, aber die zurückliegenden Tage hatten Spuren hinterlassen und uns einige Schritte nach hinten katapultiert. Auf dem Spielplatz blieb er eine Stunde neben mir sitzen, da er sich erst ans Klettergerüst traute, als sich kein Kind in der Nähe befand.
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Meine größte Sorge ist nicht die Untersuchung, die meinem Sohn noch bevorsteht, um während der Infektion aufgetretene Symptome abzuklären, sondern der Fakt, dass wir uns jederzeit wieder infizieren können. Wie viele Ausnahmezustände erträgt eine Mutter? Ich möchte es bitte nicht herausfinden.