Die Zeit nach dem Schulabschluss ist für viele junge Menschen eine aufregende Zeit. Viele malen sich dann aus, wie der nächste Lebensabschnitt wohl aussehen wird: neue Leute, neuer Wohnort, neue Freiheiten. Doch sobald die Zusage für das Studium oder die Ausbildung da ist, bekommt die Vorfreude oftmals einen Dämpfer. Dann steht für viele nämlich die Wohnungssuche an. Und dafür braucht man in Deutschland aktuell ein dickes Fell, vor allem in Städten.
"Mir ging es in der Zeit echt gar nicht gut. Ich hatte totale Existenzängste", sagt Lisette Breyer. Die 19-jährige Studentin musste Anfang des Jahres spontan nach einer neuen Bleibe in München suchen. Eigentlich war sie zur Untermiete in einem WG-Zimmer bis Ende März untergekommen; ihre Vermieterin wollte dann aber doch früher zurückkommen.
"Mir hat bei der Wohnungssuche einfach dieser krasse Wettbewerb zu schaffen gemacht", sagt Breyer im Gespräch mit watson. Sie habe sich direkt einen Account auf der Wohnungssuche-Plattform Immoscout24 angelegt. Dort ist die Konkurrenz allerdings riesig. "Je nach Lage und Preis bewerben sich 400 oder 500 Leute auf eine Wohnung", erklärt die 19-Jährige.
Deswegen habe sie sich einen Premium-Account zugelegt – drei Monate für 90 Euro. Der Vorteil: Man bekommt teils Inserate früher als nicht zahlende User:innen angezeigt und die eigenen Bewerbungen landen im Postfach der Vermieter:innen weiter oben.
"Da kommt es wirklich auf Sekunden an, weil man will ja möglichst unter den ersten 30 oder 40 Bewerbern sein", sagt die Studentin. Zwei Wochen hat sie dann nichts anderes gemacht, als ihre Bewerbungen auf unterschiedlichste Wohnungen in München rauszuschicken. Ständig gab es neue Inserate, ständig musste sie reagieren. Der Druck war enorm.
"Die Stimmung in der Stadt ist super frustriert, alle sind genervt", sagt Patricia Leuchtenberger. Die 22-Jährige ist Mitglied im AK Wohnen der Münchener Studierenden, ein hochschulübergreifender Arbeitskreis, der sich für bezahlbaren Wohnraum für junge Menschen einsetzt. "Weder die Zugezogenen noch die Leute, die hier aufgewachsen sind, können sich das Wohnen noch leisten", fügt David Vadasz, ebenfalls Mitglied im AK Wohnen, hinzu.
Manche würden es gar nicht erst in Betracht ziehen, in München zu studieren, weil die Mietpreise so astronomisch seien, meint Vadasz. Durchschnittlich 790 Euro zahlen Studierende in der bayrischen Landeshauptstadt aktuell. Das hat eine Auswertung des Moses Mendelssohn Instituts in Kooperation mit dem Online-Portal wg-gesucht.de ergeben.
Für Bafög-Empfänger:innen ist eine Wohnkostenpauschale von gerade mal 380 Euro vorgesehen. Der Höchstsatz liegt insgesamt bei rund 990 Euro; davon sind 137 Euro für Kranken- und Pflegeversicherungszuschlag vorgesehen. Selbst wenn man sich also neben dem Vollzeit-Studium mit einem Minijob noch 550 Euro dazuverdient, bleibt oft nicht viel übrig.
"Da wird dann halt jeden Tag nur Nudeln mit Tomatensoße gegessen", erzählt Patricia Leuchtenberger. Eine Freundin müsse teilweise so viel arbeiten, um ihr Leben zu finanzieren, dass sie manchmal über Monate gar keine Zeit zum Studieren habe. "Die musste schon einen Kredit aufnehmen und ist eigentlich immer im Survival-Modus".
Aber nicht nur die Wohnsituation in München ist zugespitzt. Von den 88 deutschen Hochschulstandorten mit mehr als 5000 Studierenden ist es im Wintersemester 2024/2025 laut Moses Mendelssohn Institut nur in sieben möglich, mit der Bafög-Wohnkostenpauschale ein WG-Zimmer zu finanzieren. Die entscheidende Frage ist für einige also längst nicht mehr "Was will ich studieren?", sondern "Wo kann ich mir ein Studium überhaupt leisten?".
Das Problem hoher Mieten und Mangel an Wohnraum betrifft natürlich nicht nur junge Studierende und Auszubildende. Nach Angaben der Immobilienbranche fehlten im vergangenen Jahr insgesamt 800.000 Wohnungen in Deutschland. Die Ampelkoalition wollte in ihrer Regierungszeit eigentlich 400.000 neue Wohnungen im Jahr bauen. Dieses Ziel wurde jedes Jahr um rund 100.000 Wohnungen verfehlt.
Gleichzeitig stehen laut dem Statistischen Bundesamt hierzulande rund 1,9 Millionen Immobilien leer. Viele davon befinden sich in ländlichen Regionen; aber auch in Großstädten ist Leerstand ein Problem. In München gibt es laut Pestel-Institut etwa 22.000 Wohnungen, die nicht genutzt werden. Das seien 2,7 Prozent des gesamten Wohnungsbestands der Landeshauptstadt. Dadurch ist der Druck auf dem Wohnungsmarkt noch höher.
Diese Erfahrung hat auch Lisette Breyer gemacht: "Man muss sich ständig überlegen, wie man heraussticht". Bei Immoscout24 gebe es die Möglichkeit, Schufa, Lebenslauf, Bürgschaft der Eltern und Gehaltsnachweise hochzuladen. "Ich denke, das hilft, schneller eine Wohnung zu finden. Aber man muss sich schon sehr nackt vor dem Vermieter machen", meint die Studentin.
Sie sei zudem in einer privilegierten Situation – sowohl durch ihr Stipendium als auch durch ihren typisch deutschen Nachnamen.
Doch selbst wenn man eine Einladung zur Wohnungsbesichtigung bekommt, heißt das noch lange nicht, dass man mit einer Zusage rechnen kann – oder dass die Wohnung den Vorstellungen entspricht. "Einmal habe ich den Dachboden einer Familie besichtigt, bei der es keine eigene Tür gab. Das war ziemlich weit außerhalb der Stadt und die wollten trotzdem 1050 Euro pro Monat", berichtet Breyer.
Angesichts solcher horrenden Mietpreise auf dem freien Markt versuchen einige Studis ihr Glück bei öffentlich geförderten Wohnheimen. Dort kostete ein Zimmer 2023 nach Angaben des Deutschen Studierendenwerks im Schnitt 305 Euro, einschließlich aller Nebenkosten. Eigentlich ein Traum für jede:n Studi mit begrenztem Budget.
Das Problem: Für etwa 2,8 Millionen Studierende in Deutschland gibt es nur 240.000 öffentlich geförderte Wohnheimplätze. Dementsprechend ist auch hier die Konkurrenz groß. Die Wartelisten umfassen teils mehrere tausend Personen. Bis man dann eine Zusage für ein Zimmer bekäme, hätten manche schon ihr Studium abgeschlossen.
Der AK Wohnen der Münchener Studierenden fordert deshalb, mehr Wohnheime zu bauen. "Die sind kosteneffizient und bringen auf kleiner Fläche eine große Menge von Leuten unter", sagt David Vadasz. Wenn junge Menschen dort günstig unterkämen, würde das auch den gesamten Mietmarkt entlasten.
Die beiden Studis fordern außerdem, das Programm "Junges Wohnen" aufzustocken. Dabei handelt es sich um ein 500 Millionen Euro schweres Sonderprogramm der Bundesregierung aus dem Jahr 2023 zur Schaffung von Wohnheimplätzen für Studierende und Auszubildende.
Bezahlbares Wohnen hat für beide großen Einfluss auf die Wahlentscheidung bei der bevorstehenden Bundestagswahl. "Mit dem Thema Wohnen fängt eben alles an. Jeder braucht einen Ort, an dem man wohnen kann", sagt Patricia Leuchtenberger. Das sieht Lisette Breyer ganz ähnlich: "Es wird ständig gesagt, die Wirtschaft müsse laufen. Ohne eine gute Wohnung kann man noch so viel Arbeitskraft von den jungen Leuten erwarten, das wird dann aber nichts."
Für die junge Studentin ist die Wohnungssuche am Ende gut ausgegangen – und das ganz ohne Immoscout24. "Ich hab bei mir im Haus einen Zettel ausgehängt und daraufhin hat sich eine Pendlerin bei mir gemeldet", sagt Breyer. Sie würde nur noch einmal im Monat ihre Wohnung nutzen und suche eine Untermieterin. Nach einem Treffen stand fest: Es ist ein perfektes Match! Nun wohnt die Studentin erst ein Jahr lang zur Untermiete, danach kann sie die Wohnung vielleicht sogar übernehmen.