"Gut gebrüllt, Löwe." Wer dieses Zitat kennt, geht entweder leidenschaftlich gerne ins Theater oder hat damals im Englischunterricht wirklich gut aufgepasst. Dieser Satz stammt aus Shakespeares "Sommernachtstraum", seine Bedeutung wurde sicherlich in so mancher Theater-AG analysiert und dekonstruiert, im Grunde sagt er aber genau das aus, was er eben verspricht: Er beschreibt einen brüllenden Löwen.
Dieser Satz ertönt zum mittlerweile 15. Mal an jenem Donnerstag im November am Rambazamba Theater im Nordosten von Berlin. Entsprechend routiniert scheinen die elf Schauspieler:innen an diesem Abend über die knarzenden Holzdielen an der Eberswalder Straße die Bühne zu betreten, der Saal ist beinahe komplett gefüllt.
Alles hier erinnert ein bisschen an jene Bühnen, die so manches Dorfkind ebenfalls noch aus Schulzeiten kennen dürfte, als der lang ersehnte Ausflug ins örtliche Stadttheater führte. Doch auch wenn das Rambazamba äußerlich und auch zahlenmäßig an ein solches Stadttheater erinnern mag, kann dieses Ensemble so viel mehr – und das zeigt sich nicht nur in der Beschreibung eines brüllenden Löwen.
Denn im Rambazamba wird weder zum zehnten Mal eine "Neuauflage" der Bremer Stadtmusikanten geboten, noch muss sich hier jemand in Minute eins der Vorstellung nackt ausziehen, um einer ultrahocherhitzten Definition von Kunst gerecht zu werden. (Was nicht bedeutet, dass in der Eberswalder Straße nicht durchaus mal ein nackter Schauspieler zu sehen ist – im Sommernachtstraum allerdings nicht, Spoiler.)
"Kunst auf höchstem Niveau, das war von Anfang an meine Idee beim Rambazamba, alles andere interessiert mich nicht", unterstreicht Jacob Höhne. Er ist seit 2017 Intendant des Hauses, damals übernahm er die Leitung von seiner Mutter. Es scheint nicht das erste Mal, dass ihm jemand die Frage nach dem "Besonderen" beim Rambazamba stellt.
Denn Gisela Höhne gründete das Theater Rambazamba, wie es damals noch in umgekehrter Form hieß, 1990 gemeinsam mit ihrem Lebenspartner Klaus Erforth aus einem gewissermaßen privaten Impuls heraus. Kurz zuvor hatten die beiden ihren ersten Sohn bekommen, den großen Bruder von Jacob Höhne. Er wurde mit dem Down-Syndrom geboren.
Das Theater in Ost-Berlin sollte sich das zum Anlass für etwas Besonderes nehmen. Eine neue Form der Kunst sollte entstehen, die gleichermaßen inklusiv wie wertvoll sein würde. Auf diese Weise gelang dem Haus ein Kunststück, das ihm bis heute ein Alleinstellungsmerkmal in der Stadt, aber auch in ganz Deutschland sichert.
"Tja, Rebecca, was machen wir anders, ist die große Frage?", stellt Höhne in den Raum, in dem sich die beiden vor der Vorstellung Zeit für ein Gespräch genommen haben. Rebecca zuckt mit den Schultern, beide stimmen in ein nachdenkliches "Hm" ein.
Aktuell zählt das Ensemble 27 feste Schauspieler:innen, hinzu kommen einige Nachwuchsschauspieler:innen, die meisten von ihnen haben eine körperliche oder geistige Einschränkung. Rebecca Sickmüller ist seit sieben Jahren dabei. Sie ist 28 Jahre alt und spielt an diesem Abend die Hermia. Ihre Lieblingsrolle von allen bisher, wie sie im Gespräch erzählt.
"Ich bin ja ein offenes Buch", lacht sie, als sie etwas aufgetaut ist, erzählt von ihrer Kindheit in Thüringen und ihrer frühen Leidenschaft für das Theater. Viele Praktika habe sie gemacht, doch am Ende blieb es eben das Schauspielern. "Was anderes will ich auch gar nicht", erklärt auch sie selbstbewusst.
Nicht jede:r ist bei jeder Vorstellung dabei, Rebecca allerdings ist in wenigen Wochen mit Höhnes Inszenierung "Reizende Leute, diese Boulingrins" wieder zu sehen. Jeden Tag kommen die Schauspieler:innen zusammen und proben je nach Spielplanphase bis zu sieben Stunden pro Tag.
Während an anderen Häusern zunächst 40 bis 50 Prozent der Vorbereitung in die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Text fließen, setzt man beim Rambazamba viel auf das "Körperliche", wie Höhne es nennt – und damit vor allem auch auf die Komponente Spaß. "Für mich ist so erfüllend, dass man hier der Konvention nicht folgen kann", erklärt der 45-Jährige.
Viel Material entstehe daher in gemeinsamer Arbeit bei den Proben, Normen dürften hier auch bei klassischen Namen wie Shakespeare eingerissen werden. Auf der Bühne führt das dazu, dass die Zuschauer:innen immer wieder einer gewissen Unsicherheit darüber ausgesetzt sind, was Spiel und was Realität ist.
Etwa wenn im "Sommernachtstraum" der besagte Löwe gegen Ende des Stücks nicht aufwachen will und erst spät sein Brüllen in den Raum donnert. Oder wenn das Stück fast vorbei scheint und einer der Schauspieler wahllos ins Publikum rennt und die Zuschauer:innen nach ihrer Telefonnummer fragt.
Doch wie in jedem anderen Haus herrscht auch hier eine Sache vor: eine Prise Perfektionismus. "Das muss ich vielleicht auch nochmal dazu sagen: Alle hier wissen, was sie tun", betont Jacob Höhne.
Wer sich beim Rambazamba bewirbt, durchläuft erstmal eine Art Probephase, in der über Workshops gemeinsam Stärken und Schwächen herausgearbeitet werden. Anschließend werden die Nachwuchstalente in erste Produktionen aufgenommen, ihre Bühnenpräsenz in kleinen Rollen getestet.
"Die Dinge laufen vielleicht nicht immer ganz so linear und absehbar, wie sie in der Gesellschaft erwartet werden", kommt Höhne erneut zurück auf die Frage nach dem Besonderen im Rambazamba. Klar gibt es auch in diesem Haus Deadlines, aber der Weg dorthin scheint irgendwie ein anderer.
Gleichzeitig stehen da am Ende Stücke, die so mancher Person vielleicht sogar einen besseren Zugang zu Theater bieten, als es den Platzhirschen wie dem Deutschen Theater gelingt. Gleichzeitig wird eine enorme Leistung in puncto Inklusion geleistet. Denn, dass Abstraktion eben nicht immer eine enorme Menge an Obszönität und pompösen Kostümen braucht, zeigt sich wiederum am Löwen, an diesem Abend übrigens gespielt von Michael Wittsack.
Er hat kein tierisches Kostüm, Wittsack IST einfach der Löwe, denk es dir halt. "An diesem Ort kann man sein, wer man sein will", erklärt auch Jacob Höhne. Für die Schauspieler:innen, die in ihrem Leben zahlreichen Barrieren ausgesetzt sind, sei das eine Befreiung.
Doch wenn man ehrlich ist, ist es das auch für die Zuschauer:innen.
"Das ist Kunst und Kunst ist absolut frei", meint der Intendant noch. Jene, die sich nicht zu den eingangs erwähnten leidenschaftlichen Theatergänger:innen zählen, mag ein solcher Satz mitunter abschrecken.
Aber weil dieser Kunstbegriff im Rambazamba eben nicht bloß aus einem Glas Chardonnay und viel Bedeutung entsteht, sondern aus Spaß und dem Versuch, die Welt zu verstehen, ist er nicht abschreckend, sondern einladend. Für alle.