Linus Bade ist Inklusionsexperte und Schauspieler, er hat von Geburt an eine Spastik, macht auf internationalem Niveau die Laufsportart FrameRunning und leistet viel Aufklärungsarbeit auf Social Media über die Vorurteile gegenüber Menschen mit Behinderung.
Dabei macht Bade auf fehlende Barrierefreiheit, aber auch auf das fehlerhafte Wissen vieler Menschen ohne Behinderung über diese Themen aufmerksam.
Watson hat deswegen mit ihm über das Thema Inklusion gesprochen und ihn gefragt, was sich bei den Paralympics, aber auch im generellen Umgang mit Behindertensport verändern muss.
watson: Linus, tragen die Paralympics eher zu Inklusion aufgrund der Plattform, oder zu Exklusion aufgrund der Trennung bei?
Linus Bade: Grundsätzlich finde ich die Paralympics einen guten Ansatz. Ich finde nur die Vorbereitung dafür ist entscheidend, ob es ein inklusives Event wird oder nicht. Da habe ich das Gefühl, dass über die Paralympics im Vorfeld überhaupt nicht berichtet und geredet wird. Dann ist das Event plötzlich da und zehn Tage lang heißt es "Wow, wir machen so viel für Menschen mit Behinderung" und danach hört man einfach nie wieder was über Behindertensport.
Darin zeigt sich eine Diskrepanz.
Ja, ich finde, die Paralympics sind dadurch nicht inkludiert in der Gesellschaft, sondern werden alle vier Jahre so eingezwängt. Während Fußball oder auch andere Sportarten – durchgeführt von Menschen ohne Behinderung – in der Gesellschaft regelmäßig durch internationale Turniere und Sendezeiten im Fernsehen Platz bekommen, gibt es das für den Behindertensport nicht.
Wäre es eine Lösung, Events wie eine EM oder auch WM für Menschen mit Behinderung einzuführen?
Auf jeden Fall. Es muss etwas geben, das regelmäßiger stattfindet als die Paralympics alle vier Jahre. Etwas, was einfach wie die anderen Sportevents dazugehört. Aber die Paralympics zeigen eine Problematik auf, die sich mit vielen Lebensbereichen von Menschen mit Behinderung deckt: Es wird immer nur akut und punktuell berichtet, oft auch nicht ausreichend und sehr zurückhaltend. Andere Themen bekommen in unserer Gesellschaft einfach viel mehr Raum. Dadurch bildet sich eine gesellschaftliche Distanz zu unseren Themen, die wiederum zu vielen Vorurteilen führt – die ich ja auch mitbekomme.
Würdest du es besser finden, wenn die beiden Spiele parallel laufen würden?
Ehrlich gesagt habe ich auch nicht die perfekte Lösung. Aber es so komplett zu trennen, ist schwierig. Das passiert ja auch in der Schule und in der Arbeit. Es gibt überall diese Zwei-Klassen-Gesellschaft. Dabei überschattet die Mehrheit die Minderheit und so bekommt die Gesellschaft auch nichts von uns Menschen mit Behinderungen mit. Ich bin deswegen schon total gespannt, wie die Paralympics in den Medien aufgenommen werden. Die Berichterstattung über Menschen mit Behinderung sehe ich auch sehr kritisch, weil die meisten leider wirklich seltsam berichten und diesbezüglich noch viel verbessert werden muss.
Thema Berichterstattung: Welche konkreten Sätze kannst du nicht mehr hören?
"Aktiv trotz Behinderung", immer dieses "Er kann das trotz seiner Behinderung". Da wird die Behinderung immer als die größte Hürde des Universums dargestellt. Das ist ja gar nicht der Grund, warum ich aktiv bin. Ich bin aktiv, Punkt. Es sagt ja auch niemand "Aktiv trotz krummer Nase". Die Behinderung wird dabei so in den Fokus gesetzt. Das ist eine von sehr viele Formulierungen, die einfach nur ableistisch sind.
Menschen mit Behinderung würden sich dazu bestimmt besser ausdrücken. Wäre es sinnvoll, sie die Berichterstattung machen zu lassen?
Ja! Generell merkt man bei der Berichterstattung vieler Moderator:innen, dass das Thema Behinderung außen vor ist und sie überhaupt keine Berührungspunkte haben. Also nicht nur in den Beiträgen, sondern oft auch aus persönlicher Sicht. Es gibt ja nie Moderator:innen mit Behinderung und dadurch wird das Thema auch nicht normalisiert.
Was könnte denn beispielsweise jetzt in der Berichterstattung der Paralympics besser laufen?
Die Behinderung kann und soll benannt werden. Aber sie darf nicht im Fokus stehen, sondern die Leistung. Es sind die Paralympischen Spiele, es ist klar, dass hier Menschen mit Behinderung antreten. Es reicht, das einmal zu benennen – danach sollte es um die sportliche Leistung gehen.
Ein weiterer Unterschied zeigt sich auch in Sponsoring und beim Thema Gehalt.
Genau, das habe ich selbst schon erlebt. Ich bin selbst Sportler und bin auch international klassifiziert. Es gibt hier so wenig Förderung. Man tut viel für nichts, während Förderungen und Zuschüsse im Nichtbehindertensport selbstverständlich sind. Ich kenne auch Geschichten von paralympischen Spieler:innen – teilweise sogar Sieger:innen – die staatliche Zuschüsse wie Wohn- oder Bürgergeld beziehen müssen. Wer an den Paralympics teilnehmen möchte, muss eben fast jeden Tag trainieren, daneben hat man keine Zeit zu arbeiten. Wenn es dann dafür kein Geld und keine weitere Unterstützung gibt, geht man arm aus.
Könnte sich dazu etwas verbessern, wenn Behindertensport in der Gesellschaft präsenter wäre?
Total. Es muss einfach mehr in den Alltag aller gehören. Würden die Menschen beispielsweise regelmäßig auch Behinderten-Fußball schauen, würde es für die Spieler:innen Löhne und Sponsoring geben. Dabei geht es aber nicht nur um Menschen mit Behinderung. Wir haben dieselbe Debatte auch zwischen Männer- und Frauen-Fußball. Frauen-Fußball ist deutlich weniger präsent und wird dadurch auch deutlich weniger gefördert. Bei Menschen mit Behinderung wird das alles dann nochmal weniger, so wie ich das einschätze. Einer bestimmten Gruppe in unserer Gesellschaft gehört einfach sehr viel Aufmerksamkeit, während andere ziemlich leer ausgehen.
Die Klassifizierung für die Paralympics ist ziemlich kompliziert – wird Leistung hier fair gemessen?
Ich bin selbst klassifizierter internationaler Läufer beim FrameRunning. Da gibt es auch drei Klassen. Und je nachdem, wer hier die Entscheidung trifft, kann es schon mal sein, dass Personen mit unterschiedlichen Möglichkeiten in die gleiche Klasse kommen. Dabei wird nicht mitbedacht, dass man ja vielleicht auch einen besonders guten oder einen sehr schlechten Tag hatte – ist man einer Klasse zugeteilt, bleibt man für immer in dieser. Das ist gefährlich. Ich musste einmal gegen jemanden aus meiner Klasse antreten, der deutlich mobiler war als ich. Mir war ganz klar, an den komme ich niemals ran. Er kann viel besser laufen als ich – und das ist dann schwer einzuordnen.
Für Gleichberechtigung zu sorgen, ist wirklich keine leichte Aufgabe.
Man müsste so viel über dieses Thema reden – aber eigentlich auch wieder nicht, denn es gibt weniger zu reden und viel mehr zu machen. Es wird ja auch schon viel diskutiert. Wir müssen vom Reden ins Machen kommen, und zwar nicht nur Menschen mit Behinderung, sondern vor allem auch Nicht-Betroffene.