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Analyse

Deutsche Bahn: Sind die Taubenspikes am Bahnhof Tierquälerei?

Taube hinter Taubenabwehr Copyright: xZoonar.com/HGVorndranx 22062982. Taubenabwehr wird an jedem Bahnhof und an vielen öffentlichen Plätzen genutzt: in Form von Stacheln, sogenannten Taubenspikes, Ne ...
Taubenspikes: An öffentlichen Plätzen wie Bahnhöfen sieht man sie überall.Bild: www.imago-images.de / imago images
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Stacheln gegen Tauben an Bahnhöfen: Ist das Tierquälerei?

Alle kennen sie, niemand beachtet sie: die Stacheln, die an Bahnhöfen gegen Tauben eingesetzt werden. Aber ist das eigentlich Tierquälerei? Watson ist der Frage nachgegangen – und in einen Strudel voller Widersprüche geraten.
21.04.2025, 14:5621.04.2025, 14:56
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Wirft man einen Blick auf die sogenannten Taubenspikes an Bahnhöfen, sticht die Frage fast ins Auge: Verletzen sich die Tiere daran? Oder verstehen sie, dass dies kein bequemer Sitzplatz ist?

Spoiler: Die Antworten darauf könnten nicht widersprüchlicher sein. Aber fangen wir von vorne an. Etwa bei dem vermeintlich wichtigsten Argument, das für die Taubenabwehr spricht.

Verbreiten Tauben wirklich Krankheiten?

Für die Hersteller:innen von Taubenspikes ist die Antwort ganz eindeutig: Ja, natürlich! Und zwar ganz furchtbare!

So heißt es auf der Website eines dieser Unternehmen: "Unsere Experten für Taubenabwehr schützen Menschen vor gefährlichen Krankheiten, die durch Tauben, ihre Parasiten und den hochinfektiösen Vogelkot verursacht werden."

"Um das grundsätzlich zu beantworten: Es ist Tierquälerei."
Taubenexperte Hans Lutsch

Diese Ansicht ist mindestens umstritten. In Tierschutz-Kreisen ist man sich sogar einig, dass es nicht einmal rechtens ist, mit solchen Aussagen zu werben. Immerhin konnte eine Studie von 2017 viele der kursierenden Aussagen widerlegen.

Das Stadttaubenprojekt Berlin, ein Verein, dem regelmäßig verletzte Tauben gemeldet werden, ordnet diese Aussage auf watson-Anfrage ein: "Wir sehen dies definitiv als übertrieben an. Tauben übertragen nicht mehr oder weniger Krankheiten als andere Vögel, einschließlich sogenannter Ziervögel."

Schon 2018 musste eines dieser Unternehmen ähnliche Aussagen von seiner Website nehmen, weil ein Gericht sie als irreführend einstufte.

Sind Tauben also ungefährlich?

Die Tierschutzbeauftragte Berlins erklärt gegenüber watson, dass bestimmte Krankheitserreger von Tauben und deren Kot auf den Menschen übertragen werden können. Dies gelte aber grundsätzlich für jedes Tier. Sie verweist auf die üblichen Hygienemaßnahmen.

Die Deutsche Bahn und ihre Taubenabwehr

Aber selbst wenn Aussagen über das Gesundheitsrisiko durch Tauben überspitzt wären, heißt das nicht, dass Taubenabwehr grundsätzlich falsch ist.

Vor vielen Jahrhunderten züchtete der Mensch die Wildtaube als Haustier. Nur deshalb ist die heutige Stadttaube darauf getrimmt, dem Menschen zu folgen. Tierschützer:innen sind sich einig, dass die Population der Tiere somit in unserer Verantwortung liegt. Nur, was ist der richtige Weg im Zusammenleben?

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Die DB setzt die Taubenspikes vielfach ein.Bild: www.imago-images.de / imago images

Die Deutsche Bahn erklärt watson, man wolle der Ausbreitung von Tauben in Bahnhöfen entgegenwirken, da Reisende sonst durch die Tiere und ihren Kot belästigt würden. Sie betont: "Jährlich wendet die DB einen hohen zweistelligen Millionenbetrag für die Reinigung der Bahnhöfe auf."

Für die Taubenabwehr verwendet sie die genannten Spikes, Netze, Drähte sowie Taubenhäuser, in denen sich die Tiere zurückziehen können. Letztere gibt es aber nur sehr selten, da diese professionell betreut werden müssen und so zusätzliche Kosten verursachen.

All diese Maßnahmen seien im Einklang mit dem Tierschutz. Aber sind sie das wirklich?

Taubenspikes: stumpfe vs. spitze Stacheln

"Um das grundsätzlich zu beantworten: Es ist Tierquälerei", äußert sich Hans Lutsch gegenüber watson zu den Taubenspikes. "Weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich die Tiere an den Stacheln verletzen."

Hans Lutsch lebt in Salzburg, wo er sich seit über 15 Jahren für Stadttauben einsetzt. 2018 wurden er und seine Frau Gabriela Arnold, die zusammen den Verein Arge Stadttauben Salzburg gegründet haben, von der Tierrechtsorganisation Peta als "Helden für Tiere" ausgezeichnet.

"Die häufigste Verletzung ist die Kropfverletzung. Wenn der verletzt ist, sind die Tiere nicht mehr fähig, Wasser aufzunehmen."
Taubenexperte Hans Lutsch

Die Spikes unterscheiden sich in stumpfe und spitze Stacheln. Die spitzeren sind in Deutschland verboten, weil sie die Tauben nachweislich schwer verletzen. Die abgestumpften Spikes sind legal und überall zu finden. Lutsch steht aber auch denen kritisch gegenüber:

"Die häufigste Verletzung bei den Tieren ist die Kropfverletzung. Der Kropf ist die Stelle oberhalb der Brust. Es ist der Speicher für die Nahrungsaufnahme. Wenn der verletzt ist, sind die Tiere nicht mehr fähig, Wasser und Futter aufzunehmen. Dann verhungern und verdursten sie. Und um den aufzureißen, dafür müssen die Stacheln nicht spitz sein."

Das Stadttaubenprojekt Berlin stimmt dem zu – und ergänzt: "Ironischerweise bieten sich die Spikes sogar für den Nestbau an, denn in ihnen hält sich oft überhaupt erst das Nistmaterial. Beim Landen verletzen sich die Tiere dann häufig an den harten Spikes."

Bedeutet auch: Unabhängig davon, ob die Stacheln die Tauben verletzen, vertreiben sie die Tiere nicht wirklich.

Was ist die bessere Taubenabwehr?

Dabei gibt es Alternativen, auf die sich theoretisch alle einigen könnten. Die von der DB erwähnten Netze könnten etwa tierschutzgerecht genutzt werden. Hier kommt es aber sehr auf die Qualität an: Ist die zu gering, schaden die Netze den Tieren. Ist sie höher, kosten sie mehr.

"Die höhere Qualität wird daher selten in Anspruch genommen", erklärt Hans Lutsch. Was dazu führe, dass die Tauben oft durch die Netze hindurch, aber nicht mehr hinauskämen und somit darin verenden würden. Damit sei niemandem geholfen.

Als tierschutzgerecht gelten außerdem Bleche, die Nistflächen abschrägen, sodass die Tiere dort nicht mehr brüten können. Dies verlagert aber nur das Problem.

Die beste Alternative – und ihr Haken

Und dann sind da noch die von der DB erwähnten Taubenhäuser, auch Taubenschläge genannt. Von allen Arten der Taubenabwehr scheint diese die beste: Darin können sich die Tiere in Ruhe zurückziehen, die Population wird kontrolliert und bekommt ausreichend Futter. Dadurch halten sie sich freiwillig weniger in Bahnhöfen auf.

"Man muss diese Taubenschläge aber professionell betreuen", betont Lutsch. "Man braucht Kenntnisse und es ist kein Selbstläufer."

"Mit diesem Geld könnte man eine Stadt sehr gut mit Taubenschlägen versorgen."
Taubenexperte Hans Lutsch

Das sind die zusätzlichen Kosten, die auch für die Deutsche Bahn eine Rolle spielen. Andererseits: Würde der "hohe zweistellige Millionenbetrag für die Reinigung der Bahnhöfe" dann nicht wesentlich sinken?

"In Salzburg werden im Durchschnitt 500.000 Euro jährlich für Taubenabwehr ausgegeben", erklärt Hans Lutsch hierzu. "Da sind noch keine Reinigungskosten dabei."

"Wenn man das auf zehn Jahre rechnet, sind wir im Fünf-Millionen-Bereich. Mit diesem Geld könnte man eine Stadt sehr gut mit Taubenschlägen und Betreuung versorgen", fasst Lutsch zusammen. Ein bestechendes Argument.

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