Özil geht, der Hambacher Forst bleibt, Chemnitz schreckt auf – 2018 war turbulent. Auch für uns: watson.de startete im März. Auf einige Geschichten sind wir seitdem besonders stolz. Wie auf diese hier:
Am 30. April 1993 wurden die Internet-Datenleitungen vom Cern (Europäisches Kernforschungszentrum) für die Öffentlichkeit freigegeben. Heißt: Jeder konnte auf HTML herumprogrammieren, wie er wollte.
Und ja, die Anfänge waren tatsächlich etwas archaisch: Von ominösen Chatrooms bis zu StudiVZ, zittrigen Onlinespielen und Tauschbörsen. Irgendwie war das alles noch ein wenig improvisiert.
Die watson-Redaktion im Nostalgie-Rausch: Was war die erste Seite, an die wir uns erinnern? Und wie fühlten sie sich damals an – diese ersten Klicks im Internet?
Philip Buchen: "Irgendwann in der 5. Klasse war es soweit: Endlich hatten meine Eltern Internet gekauft! Weil das Taschengeld mal wieder gestrichen war, konnte ich mir nicht das aktuelle Micky-Maus-Magazin kaufen. Frust hoch zehn!" "
"Der Techniker war gerade aus dem Haus, da kniete ich schon auf dem Flur-Fußboden vor dem Router und tippte www.micky-maus-magazin.de in die Adresszeile. Erster Gedanke: 'Nicht so gut wie gedruckt.' Ich war enttäuscht und wandte mich von 'diesem Internet' wieder ab. Den Rest des Sommers verbrachte ich im Garten, bis im neuen Schuljahr plötzlich alle ICQ hatten, und ich – wider Willen – zurück ins Netz ging."
Elisabeth Kochan: "Chatroulette! Zwar war ich nicht mehr ganz so jung, als die Seite bekannt wurde, aber die zahlreichen schlecht ausgeleuchteten Genitalien, die da selbstbewusst in die Webcam gehalten wurden, haben sich in mein schockiertes Gedächtnis eingebrannt."
Max Biederbeck: "Die erste Website meines Lebens war rotten.com – damals gab es das Internet nur in einem schäbigen Computerraum an der Schule (immerhin gab es einen!) und wir waren dumme kleine Kinder. Natürlich machte eine Website mit besonders ekelhaften Bildern von grausamen Unfällen mit Toten die Runde, die jeder von uns unbedingt anschauen musste."
"Möglichst Tabu-Brechen, möglichst spektakulär, möglichst viel Aufregung. Der Stoff, aus dem große Teile des Internets damals gemacht waren, funktioniert heute immer noch."
Anne-Kathrin Gerstlauer: "Einen Tag, bevor wir ENDLICH auch Internet bekamen, sah ich eine Einkaufstasche von LIDL, auf der unten fett stand: www.lidl.de. Ich wurde krass aufgeregt: Jetzt hatte ich die erste Website, die ich ansurfen könnte und nahm mir gleich vor, immer wenn ich eine neue URL sah, sie in mein Notizheft zu schreiben und alle Seiten zu sammeln."
Felix Huesmann: "Eine der ersten Seiten, auf denen meine Freunde und ich rumhingen, war lustich.de. Facebook-Seiten und Youtube-Kanäle mit witzigen Fotos und Fail-Videos gab es damals noch nicht. Weil wir trotzdem bereits große Fans der bescheuerten Seiten des Internets waren, pilgerten wir jede Woche in die Stadtbücherei unserer münsterländischen Kleinstadt. Dort konnte man kostenlos surfen – und vor allem ohne den kritischen Blick der Erziehungsberechtigten im Nacken. Ein Traum."
Julia Knörnschild: "Bevor es Myspace, Facebook, Instagram und Co. gab, hatten die Internet-Ultras eine eigene Beepworld-Webseite. In meinem Fall www.die-julia-page.de.vu. Dort gab es einmal die Woche Fotos aus meinem Leben. Der große Abschlussball, das Konzert-Wochenende in Berlin, coole Partypics von der Digitalkamera. Außerdem hatte man ein Gästebuch auf der Seite. Dort konnte man sich mit Freunden unterhalten, so wie anfangs auf Facebook."
Benedikt Niessen: "Wenn ich nicht gerade das Löwenzahn-Spiel auf dem Rechner meiner Eltern ohne Internet gespielt habe: Auf den Macbooks in der Schule (Nirgendwo gab es Geld, aber die Schule hat sich die hinstellen lassen – WTF?!) gab es Internet und wir haben immer auf miniclip.com zahlreiche Spiele gezockt."
"Bei einem Spiel konnte man Osama bin Laden verprügeln, das fanden wir in der 6. Klasse, zwei Jahre nach den Twintowers, ganz lustig. Bei 'on the run' musste man mit dem Auto vor der Polizei flüchten. Ein großartiges Spiel!"
Julia Dombrowsky: "Die erste Website, die mir wichtig vorkam, war www.kazaa.com. Endlich kursierte so ziemlich jeder Song gratis im Netz. War natürlich illegal – aber jede Mix-CD, die die Jungs auf Partys und ihren Angebeteten mitbrachten, war ausschließlich über diesen Musiktauschdienst bestückt worden. Downloads konnten schon mal 30 Minuten dauern (habe ich gehört), aber dafür gab's dann J.Lo in Dauerschleife."
Saskia Gerhard: "Es war nicht meine erste, aber auf jeden Fall eine wichtige in meiner Internet-Frühzeit: Sie hieß Kilahu, die URL war kilahu.de glaube ich (ist mittlerweile platt). Das war jedenfalls ein Chatportal, in dem viele Bochumer (auch meine Heimat) angemeldet waren. Man konnte verschiedenen Gruppen beitreten und da mit Leuten chatten. Jeder hatte ein Profil, auf dem Freunde zusätzlich posten konnten, und Privatnachrichten gab es natürlich auch."
"Das Tolle war, dass Kilahu nicht nur online stattgefunden hat, sondern dass wir uns regelmäßig auch in der ,echten Welt' getroffen haben, feiern gegangen sind, etc. Das war ein riesiger Freundeskreis, man kannte alle und musste keine Angst haben, sich mit jemandem zu treffen, den man zuerst online auf Kilahu kennengelernt hatte."
Timo Stein: "Ich erinnere mich nicht an meine erste Internetseite. Ich weiß nur noch, wie es sich damals anhörte, als man sich einwählte. Das Knattern des Modems, die Verbindung, die sich zurechthustete, es pfiff und stotterte aus allen Löchern. Medial begleitet wurde dieser Husarenritt von Boris Becker, der strunzdoof vor einem klobigen Personalcomputer saß und 'Bin ich schon drin?' fragte."
"Wir folgten diesem Teufelskerl auf die andere Seite, es dauerte, Homepages bauten sich quälend und in Zeitlupe auf und auch wir fragten uns: War es das jetzt? Und wussten: Das setzt sich nie durch, dieses Internet. Dann doch lieber offline Zak McKracken spielen."