
Nils Lichtlein ist bei den Füchsen Berlin gesetzt, im DHB-Team wird er zunehmend wichtiger.Bild: IMAGO/Eibner
Analyse
Die größte Fähigkeit von Dr. Strange, der titelgebenden Figur aus dem gleichnamigen Superhelden-Film, besteht darin, unzählige Zukünfte gleichzeitig zu sehen, um dann die bestmögliche Entscheidung zu treffen. Dabei kombiniert er strategisches Denken, Intuition und enorme mentale Stärke.
Ähnlich wie der übermenschliche Filmcharakter aus dem Marvel-Universum agiert auch Nils Lichtlein. Nur eben auf dem Handballfeld. Dort kann er "eine Sekunde in der Zukunft spielen", sagt Bob Hanning im Interview mit watson. "Nils kann die Spielsituation vorhersagen."
Aber anders als Dr. Strange trägt Lichtlein weder ein rotes Cape noch einen Zeitstein mit sich. Seine Stärke schlummert in seinem Körper: in Kopf, Beinen und seinem linken Arm. Damit geht Lichtlein derzeit bei der Handball-WM auf Torejagd und kann, wenn man den Worten von Bob Hanning Glauben schenkt, "ein X-Faktor werden".
Der Geschäftsführer der Füchse Berlin kennt Nils Lichtlein seit mehr als zehn Jahren, er hat den gebürtigen Regensburger entdeckt und 2014 in die Hauptstadt geholt. "Bei Nils Lichtlein waren es der erste schnelle Schritt und das Antizipieren von Spielsituationen", was Hanning beeindruckt hat. "Dann haben wir an seinem Schlagwurf gearbeitet, den sollte er zu seinem Wurf machen."
Seit Sommer 2021 gehört Lichtlein dem Bundesliga-Kader der Füchse Berlin an. Mit seinen 22 Jahren zählt er zu den Jüngsten im Team, an Erfahrung mangelt es ihm deswegen aber nicht. In der Saison 2023/24 kam er in 33 von 34 Partien zum Einsatz, qualifizierte sich mit den Füchsen für die Champions League, gewann die Vizemeisterschaft in der Bundesliga und wurde als "Nachwuchsspieler der Saison" ausgezeichnet.
Nils Lichtlein Teil des besten Rückraum-Trios der Bundesliga
Auch in der laufenden Spielzeit stellt Lichtlein sein Können unter Beweis, 44 Tore und 35 Assists gehen bislang auf sein Konto. Die Aufgabe, seine Mitspieler gekonnt in Szene zu setzen, meistert er bravourös. Dennoch erwartet Bob Hanning mehr Egoismus und eigene Torgefahr von ihm: "Er ist sehr ehrgeizig und reflektiert. Manchmal aber zu reflektiert und darauf bedacht, dass andere Spieler neben ihm gut aussehen."
Spieler wie Mathias Gidsel und Lasse Bredekjær Andersson. Die unterschiedlichen Spielstile der drei Rückraumspieler ergänzen sich nahezu perfekt.
Gidsels schnelle Richtungswechsel kombiniert mit seiner Kreativität, die Wurfkraft von Andersson und die Spielübersicht von Lichtlein ergeben ein Perfect Match. Das bestätigt ein Blick auf die Zahlen: Bislang haben die drei, alle Treffer zusammengerechnet, 272 Tore erzielt. So viel wie kein anderes Rückraum-Trio in der Bundesliga.
Nils Lichtlein im Schatten von DHB-Star Juri Knorr
Während sich Nils Lichtlein im Team der Füchse zu einem Schlüsselspieler etabliert hat, wartet er bei der Handball-WM noch auf seinen großen Durchbruch. Bundestrainer Alfreð Gíslason hat zu Beginn der WM auf Juri Knorr gesetzt. Er sollte dem Spiel seinen Stempel aufdrücken. Nicht Lichtlein.
Doch weil Knorr derzeit wegen eines grippalen Infekts ausfällt und zuvor an einer leichten Knieverletzung laborierte, kommt Lichtlein zunehmend auf mehr Spielminuten. Im "Endspiel" gegen Italien, in dem er vier Tore erzielte, wurde er deshalb vom Bundestrainer gelobt. Laut Gíslason haben vor allem Spieler wie Lichtlein und Franz Semper, "die zuvor weniger gespielt haben", den Unterschied gemacht.
Dass Gíslason sich auf Lichtlein verlassen kann, hat er bereits im ersten Gruppenspiel gegen Polen unter Beweis gestellt. Eine Szene steht exemplarisch dafür:
Als Deutschland im Ballbesitz ist, trabt der eingewechselte Lichtlein auf das Spielfeld. Es sind noch anderthalb Minuten zu spielen. Der Ball wandert zweimal durch den deutschen Rückraum, von rechts nach links und wieder zurück.
Dann nimmt Renārs Uščins Anlauf und passt auf Lichtlein, der zieht Richtung Tor. Links von ihm steht Luca Witzke, auf Höhe der Neunmeterlinie nimmt er den Ball an und legt auf den anlaufenden Linksaußen Lukas Mertens ab. Während Mertens knapp vor der Sechsmeterlinie abspringt, tut sich in der polnischen Abwehr eine Lücke auf.
Lichtlein erkennt das und antizipiert, dass Mertens den Ball auf ihn ablegen kann, wenn er durch die Lücke hindurchspringt. Und genauso kommt es: Aus dem Augenwinkel sieht Mertens Lichtlein in den Sechsmeterraum fliegen.
Noch bevor Lichtlein den Boden berührt, bekommt er den Pass und wirft auf das Tor. Ein Kempa-Trick, wie man es im Handball nennt. "Jetzt gibt's noch was zum Feiern. Und zum Zaubern", kommentiert ARD-Kommentator Florian Naß den Treffer zum 34:28.
Zwischen Lichtleins Einwechslung und seinem Treffer liegen exakt 25 Sekunden, viermal haben seine Hände in der Zeit den Ball berührt. Beim fünften Mal erzielt er ein Tor, sein erstes bei der Handball-WM.
Schwäche von Nils Lichtlein liegt in der Defensive
Lichtlein, der im November 2023 sein Debüt für das DHB-Team gegeben hat, "ist ein variabler Spieler", sagt Hanning. Mit seinem linken Wurfarm kann er ebenso gut im rechten Rückraum spielen. Daher ist Lichtlein mehr als nur ein Juri-Knorr-Ersatz.
Dennoch gebe es Gründe, warum der 22-Jährige noch immer auf seinen großen Durchbruch warten muss. "Gegen Mannschaften wie Schweden oder Frankreich kannst du ihn zurzeit noch nicht bringen", sagte Gíslason mit Blick auf Olympia gegenüber "Sport Bild", "weil er Schwächen in der Defensive hat".
Für das olympische Handballturnier verzichtete der Bundestrainer auf den 22-Jährigen. Die Nicht-Nominierung sorgte aufseiten der Füchse Berlin für Verwunderung: "Da muss ich ehrlich sagen, da hätte ich nach der Saison schon eine andere Entscheidung erwartet", sagte Füchse-Sportvorstand Stefan Kretzschmar im Dyn-Podcast "Kretzsche & Schmiso".
Nichtsdestotrotz: Die Olympischen Spiele sind vorbei, was noch vor ihm liegt, ist das Viertelfinale bei der Handball-WM. Wie viel Spielzeit Lichtlein in dem K.O.-Spiel bekommen wird und ob Knorr wieder in den Kader rückt, bleibt abzuwarten. Eines steht aber laut Gíslason fest: Lichtlein sei "ein Spieler für die Zukunft".
Das fußballerische Talent von Lena Oberdorf zeigte sich bereits in ihrer Kindheit und Jugend. Die Mittelfeldspielerin nahm mit 14 Jahren an ihrer ersten Junioren-Weltmeisterschaft teil und gewann die Fritz-Walter-Medaille, eine Auszeichnung des Deutschen Fußball-Bundes für die Nachwuchsspieler:innen des Jahres, sowohl in Gold, Silber als auch in Bronze.