Angefangen hat es wie so oft mit David Beckham. Während der Weltmeisterschaft 1998 in Frankreich wurde der damalige Kanarienvogel unter den Fußballspielern dabei fotografiert, wie er sich bei einem Date mit Posh Spice Victoria erdreistete, einen Sarong, einen südostasiatischen Wickelrock, über eine schwarze, maßgeschneiderte Hose zu binden. "Es war ein Skandal", sagte Beckham später.
Knapp 30 Jahre später schiebt sich Yann-Aurel Bisseck an einem Morgen im Januar die dunkle Sonnenbrille auf die Stirn und zieht sich den weißen Pelzmantel über das tief ausgeschnittene Seidenhemd. Es ist Fashion Week in Mailand und Bisseck steht noch leicht verlegen vor dem ikonischen Metropol-Gebäude von Dolce & Gabbana. Er ist eingeladen, die aktuelle Herbst/Winter-Kollektion der italienischen Luxusmarke zu tragen.
Dass überhaupt nur die treuesten "GQ"-Leser Bissecks Ausflug in die Haute Couture mitbekommen haben dürften, zeigt auch, wie fest der Fußball mittlerweile in Mode und Lifestyle verankert ist. Oder andersherum. Vielleicht ist die Mode noch viel mehr im Fußball verankert. Vielleicht ist die Unterscheidung aber auch gar nicht mehr so wichtig.
Am deutlichsten wird das, wenn am Samstag beim Champions-League-Finale in der Münchner Allianz Arena die Mannschaftsbusse von Paris Saint-Germain und Inter Mailand einfahren. PSG steigt aus in maßgeschneiderten Dior-Anzügen, Inter in klassischem Canali.
Zwei Vereine aus den wichtigsten Modemetropolen der Welt, die sich um etwas viel Wichtigeres duellieren als einen piefigen Pokal. Es geht um kulturelle Deutungshoheit auf dem Laufsteg des globalen Sports.
Die Verbindung zwischen Fußball und Mode existiert streng genommen seit Jahrzehnten. Schon der Turbohedonist George Best eröffnete in den 1960er-Jahren zwei Modeboutiquen, trug Pelzmäntel und wurde als "fünfter Beatle" verehrt. Ende der 70er prägten dann britische Jugendliche in Adidas und Fred Perry die sogenannte Casual Culture, die später Luxuslabels wie Prada und Hugo Boss inspirierte.
Der britische Modedesigner Simon Doonan hat für die Kollision von Fußball mit Fashion zwei zentrale Momente, sagt er, ausgemacht: Einmal 1961, als in England die Lohnobergrenze für Profis fiel und Spieler plötzlich Geld sowie Einfluss bekamen. Und die 1990er, das popkulturell vielleicht wichtigste Jahrzehnt überhaupt, als neue TV-Verträge den Fußball vom Stadionritual in ein multimediales Konsumgut verwandelten.
Ab den 2010ern setzten Luxusmarken schließlich gezielt auf Fußballästhetik. Gosha Rubchinskiy brachte die sowjetische Trainingskleidung auf den Laufsteg, Dolce & Gabbana zeigten ein Maradona-Trikot bei einer Haute-Couture-Show und Donatella Versace integrierte Fußballschals in ihre Kollektion.
Parallel dazu entdeckten Clubs ihren eigenen Stil. Crystal Palace stellte erstmals einen Kreativdirektor ein, PSG kooperiert seit 2018 mit Jordan Brand, Inter bis zuletzt mit Moncler, Arsenal mit Maharishi. Heute tragen Kim Kardashian und Dua Lipa Vintage-Trikots und es gibt Menschen, die sogar mit Stollenschuhen durch den Supermarkt klackern. Der Fußball hat einst die Mode gekapert, mittlerweile ist es andersherum.
Die Rechnung ist einfach: Wenn Kylian Mbappé über 120 Millionen Follower auf Instagram hat, Dior aber weniger als halb so viele, dann lohnt sich jede Form der Assoziation. Modemarken profitieren von der Authentizität und Reichweite des Sports. Zielgruppe sind nicht mehr nur Fans, sondern Konsument:innen, die Wert auf Ästhetik legen. Man muss nicht wissen, wer Marcus Thuram ist, um ein Inter-Trikot modisch spannend zu finden.
PSG hat dieses Spiel perfektioniert wie wohl kein anderer Verein. Gegründet unter dem Einfluss des Modedesigners Daniel Hechter, ist der Club heute ein Synonym für den neuen Luxusfußball: stylisch, exklusiv, hypervermarktet.
Die Kooperation mit Jordan im Jahr 2018 markierte einen Meilenstein – bei PSG, aber auch in der gesamten Branche. Zum ersten Mal lieh die Basketballikone Michael Jordan ihren Namen und ihr Logo einem Fußballverein – und mit ihm den längst etablierten Status in der Streetwear. Kaum eine Marke vereint so sehr die Schnittmenge aus Hip-Hop, Mode und Popkultur.
Die letzten vermeintlichen Grenzen zwischen Fußball und Fashion waren gesprengt. Heute findet sich in nahezu jeder Großstadt der Welt ein Fanshop des Vereins. Jordan, kann man sagen, verlieh PSG eine Kulturautorität, die über den Sport hinausreichte.
Inter Mailand ist modisch gewissermaßen der Gegenpart zu Paris Saint-Germain. Während Paris auf globale Streetwear-Ikonen, Popkultur und limitierte Fanartikel setzt, folgt Inter einem ästhetischen Pfad, der sich näher an der Mailänder Designschule orientiert: formal, kunstnah, präzise.
Als der Klub 2021 sein neues, reduziertes Vereinslogo präsentierte – kreisrund, geometrisch, fast schon grafisch – war das auch als Bekenntnis zur Designsprache der Gegenwart zu verstehen. Statt auf visuelles Pathos setzt Inter auf klare Linien und visuelle Wiedererkennbarkeit. Die Zusammenarbeit mit der Luxusmarke Canali unterstreicht das: gedeckte Farben, hochwertige Stoffe.
Man muss das alles nicht gut finden. Viele tun das nicht. Fußball, das war doch mal der Sport der Arbeiterklasse, körperlich und roh, das war Bratwurst, Billigbier und verschlissene Trainingsjacke. Die Ästhetisierung des Sports wird als Entfremdung empfunden. Der Sport vermittelt zusehends den Anschein eines elitären und exklusiven Prestigeobjekts. Er ist, so der Eindruck, nicht mehr Gemeinschaftssport für alle.
Das stimmt. Und trotzdem kommt bei Mode und Fußball zusammen, was zusammengehört, und schon eigentlich immer zusammengehört hat. Es ist eine Illusion zu glauben, der Fußball habe nur das Spiel auf dem Platz abgebildet. Er war schon immer ein Ort für Repräsentation, für Haltung, für Stil.
Franz Beckenbauer, Xabi Alonso, Nick Woltemade – ihr Erfolg und ihre Popularität rührten und rühren nicht zuletzt daher, dass sie auch immer Stilikonen waren und sind. "The beautiful game", wie es im Volksmund heißt.
Und wie sich der Fußball im Wandel der Zeit entwickelt hat, so tat es ihm die Mode gleich. Natürlich geht es nicht mehr nur um Ästhetik. Es geht auch um Ermächtigung.
Marcus Rashfords Kollaboration mit Burberry steht für die Repräsentation Schwarzer Spieler in der britischen Modewelt, die queere Ikone der US-Frauen Megan Rapinoe zieht für Loewe Grimassen und die Designerin Martine Rose nutzt Fußball als Bühne, um systematisch übersehene Gruppen in den Mittelpunkt zu rücken.
Der 2021 verstorbene Virgil Abloh, Schöpfer von Off-White und einer der einflussreichsten Designer der Gegenwart, sagte über das Zusammenspiel von seiner Mode und Fußball: "Wir sprechen dieselbe Sprache."
Das Champions-League-Finale ist auch ein Beweis dafür, wie sich die Machtverhältnisse verschoben haben: vom Spielfeld auf den Laufsteg und auf das Spielfeld zurück. Es zeigt, dass ein Übersteiger von Ousmane Dembélé von der Wirkung her seinem Trikot vielleicht schon immer näher war, als man es für möglich gehalten hat.
Dass die drei Säulen der Popkultur, Hip-Hop, Mode und Fußball ihre Kraft aus denselben Quellen ziehen: aus Selbstbewusstsein, Geltungsdrang und dem unerschöpflichen Wunsch nach Schönheit. Und angefangen hat es mit David Beckham und einem Sarong in Südfrankreich.