Stolze neun Tore bekamen die Zuschauenden in 180 Minuten zwischen dem DFB-Team und Italien zu bestaunen, bis zur letzten Sekunde war es spannend. Die deutsche Nationalmannschaft schoss dabei einen Treffer mehr, setzte sich daher im ewig jungen Duell durch und zog ins Final Four der Nations League ein.
"Ich finde, die Erkenntnis aus diesen Partien ist für uns Weltklasse", zog Julian Nagelsmann am Sonntagabend am RTL-Mikrofon ein zufriedenes Fazit. Dabei dachte der Bundestrainer nicht nur an das Weiterkommen per se, sondern auch an die Art und Weise.
Seine Mannschaft habe in Mailand gesehen, "dass wir einen Rückstand aufholen können". In Dortmund wiederum folgte die Erkenntnis, "dass das Spiel zur Pause einfach noch nicht vorbei ist". Womöglich sei dieser wilde Spielverlauf, der letztlich zum 3:3 geführt hat, für die Entwicklung des DFB-Teams sogar hilfreicher als ein 4:0-Kantersieg.
Neue Erkenntnisse dürfte Nagelsmann aber nicht nur mit Blick auf die Entwicklung seiner gesamten Mannschaft gewonnen haben, sondern auch hinsichtlich einzelner Spieler. Denn drei Stars stechen als Gewinner der aktuellen Länderspielpause heraus, drei als Verlierer.
Fast schon genervt nahm der eine oder andere Fan zur Kenntnis, wie überschwänglich Leon Goretzka gerade beim Hinspiel in Mailand von ARD-Kommentator Tom Bartels gelobt wurde. Dabei kann man es dem Reporter nicht verübeln.
Nach einjähriger Pause feierte Goretzka ein hervorragendes Comeback, zeigte sich im Mittelfeld immer anspielbereit, gallig in der Arbeit gegen den Ball und obendrein mit der gewohnten Präsenz im gegnerischen Strafraum. Sein Siegtreffer im San Siro war der verdiente Lohn einer Topleistung.
"Für mich ist er der MVP des Spiels, er hat den größten Einfluss gehabt, hinten und vorne. Ich bin sehr froh, dass er so gut zurückgekommen ist", lobte Nagelsmann im Anschluss. Goretzka ließ sich davon nicht einlullen, bestätigte die Topleistung auch im Rückspiel.
Es war zugleich ein echtes Ausrufezeichen an die Konkurrenten auf der Doppelsechs. Dort dürfte der Rückkehrer nun erst einmal die Nase vorne haben.
Und noch ein Bayern-Profi, der sich in den vergangenen Jahren reichlich Kritik ausgesetzt sah. Schon im Vorjahr aber konnte sich Joshua Kimmich zunehmend davon freimachen, als Rechtsverteidiger stellte er sich zur Heim-EM in den Dienst der Mannschaft.
Dass sich der 30-Jährige im zentralen Mittelfeld am wohlsten fühlt, ist kein Geheimnis. Seine Rolle im DFB-Team hat er dennoch über die Europameisterschaft hinaus akzeptiert – und liefert in dieser wie kaum ein anderer ab.
Gegen Italien war der Rechtsverteidiger an allen fünf deutschen Toren direkt beteiligt. Zudem schob er das DFB-Spiel immer wieder an. Die Versetzung auf die rechte Seite hat Kimmich eindeutig dazu verholfen, im DFB-Team nun endlich die Rolle einzunehmen, die ihm seit Jahren angedichtet wurde: Er ist der Leader. Und damit auch zu Recht der Kapitän.
In Abwesenheit des verletzten Marc-André ter Stegen hatte Nagelsmann zwischen Pfosten zunächst auf eine Rotation gesetzt. Oliver Baumann bekam seine Chance, Alexander Nübel ebenso. Für das Viertelfinale der Nations League legte sich der Bundestrainer nun fest: Baumann ist vorerst gesetzt.
Der Routinier hat das Vertrauen vor allem in Mailand zurückzahlen können, packte mehrere starke Paraden aus. Baumann weiß darüber hinaus auch mit dem Ball am Fuß zu gefallen, muss unter Bedrängnis nicht immer den langen Ball schlagen.
Wenn ter Stegen zurückkehrt, dürfte der Barça-Profi auch wieder Deutschlands Nummer Eins sein. Bis dahin aber scheint Baumann gesetzt zu sein. Und für den Fall der Fälle weiß der Bundestrainer, dass er in dem Hoffenheimer einen verlässlichen Ruhepol hat.
In Abwesenheit von Florian Wirtz und Kai Havertz, die verletzungsbedingt fehlten, bekam Leroy Sané zweimal das Vertrauen von Nagelsmann geschenkt. Im Vorjahr noch war der Bayern-Profi oftmals nur Joker gewesen. Die Leistungen der Kollegen waren besser, er selbst wurde phasenweise von Verletzungen ausgebremst.
Dem Flügelflitzer bot sich nun also gleich eine doppelte Chance, um sich für mehr anzubieten. Sané aber blieb vieles schuldig. In beiden Partien fehlte ihm oftmals das richtige Timing, seine Ideen passten selten zu den Vorstellungen seiner Mitspieler.
Das mündete im Rückspiel gar zu einem fatalen Pass, der Italiens Anschlusstreffer einleitete. Am Ende steht damit die Erkenntnis, dass Sané mit seinem Tempo und seinen Sololäufen im DFB-Team auf Sicht wohl nur die Rolle als Joker bleibt.
Auf der Position des Linksverteidigers wechselt Nagelsmann seit seinem Amtsantritt gerne durch. Dabei haben sich mit David Raum und Maximilian Mittelstädt vor allem zwei Spezialisten festgespielt. Der Leipziger durfte im Hinspiel starten, war in der ersten Halbzeit aber überfordert.
Vor dem Gegentor sah er nicht gut aus, bei einem harten Einsteigen hatte er in der Folge Glück, ohne Karte davonzukommen. Raum musste zur Pause raus und wurde durch den gelernten Innenverteidiger Nico Schlotterbeck ersetzt.
Im Rückspiel wiederum setzte der Bundestrainer auf eine Dreierkette, auf der linken Schiene kam Mittelstädt zum Einsatz. Raum musste 90 Minuten von draußen zusehen, wie ihm vorerst also gleich zwei Kollegen den Rang abgelaufen haben.
Wirtz, Havertz und Niclas Füllkrug fehlten verletzt, Sané überzeugte nicht. Im zweiten Spiel musste mit Jonathan Burkardt ein weiterer Stürmer erkrankt aussetzen. Es hätte für den Bundestrainer also durchaus Gründe gegeben, auch mal Deniz Undav reinzuwerfen.
Der Stuttgarter aber bekam keine einzige Minute Einsatzzeit. Pluspunkte konnte er somit offensichtlich nicht sammeln. Vielmehr suggerieren die ausbleibenden Einsätze, dass er im Training eher den Eindruck seiner jüngsten VfB-Auftritte bestätigt hat.
Auf Klubebene befindet sich Undav nämlich seit Wochen in einer kleinen Formkrise. In der Bundesliga war er seit acht Partien nicht mehr direkt an einem Tor beteiligt.
Das wird auf Sicht problematisch für den Stuttgarter, denn Nagelsmann setzt bekanntermaßen auch auf formstarke Profis.