Die Formel E wächst und wächst. Im Jubiläumsjahr 2024, der zehnten Saison nach der Gründung, haben knapp 491 Millionen Menschen die Rennen der elektrischen Formel-1-Schwester in TV oder Stream verfolgt. Im Vergleich zum Vorjahr macht das einen Anstieg um 35 Prozent aus. Die E-Serie ist damit der am schnellsten wachsende Motorsport der Welt.
Anfang Dezember wird die Formel E mit den neuen Gen3-Evo-Rennwagen die elfte Saison einläuten. Die Fahrzeuge der neuen Generation sollen schneller als Formel-1-Autos beschleunigen und von 0 auf 100 km/h in 1,86 Sekunden kommen.
Trotzdem tut sich die Formel E nach wie vor schwer, Motorsportfans von sich zu überzeugen. In Deutschland sind die TV-Quoten in dieser Saison eingebrochen: Beim neuen Sender DF1, der die E-Serie vor Saisonstart kurzfristig übernommen hat, schalteten pro Rennen im Schnitt nur 70.000 Menschen ein – ProSieben hatte vor einem Jahr noch viermal so viele Zuschauer:innen.
Zudem haben sich in den vergangenen Jahren die deutschen Premium-Hersteller Audi, BMW und Mercedes aus der Formel E zurückgezogen. Und auch im Fahrerlager werde Deutschland vermehrt als Problemmarkt wahrgenommen, berichtet "Auto Motor Sport".
Watson hat dazu bei Alberto Longo nachgefragt. Der Spanier hat die junge Rennserie mitgegründet und ist als Chief Championship Officer unter anderem für den Rennkalender und Vereinbarungen mit den austragenden Städten verantwortlich.
watson: Herr Longo, hat die Formel E in Deutschland Probleme – und wenn ja, was sind die Gründe dafür?
Alberto Longo: Ich denke nicht, dass wir in Deutschland Probleme haben. Wir haben mehr als vier Millionen Zuschauer in Deutschland, von denen 1,3 Millionen regelmäßig einschalten. Davon sind 23 Prozent unter 35 Jahre alt und 37 Prozent sind Frauen. Wir stehen noch am Anfang unserer Reise, aber diese Zahlen zeigen, dass es in Deutschland einen großen Appetit für vollelektrischen Motorsport gibt.
Wir haben beste Voraussetzungen, um in Deutschland erfolgreich zu sein: viele deutsche Fahrer, Hersteller wie Porsche oder Partner wie Allianz und DHL. Dazu kommt natürlich das Rennen in Berlin, das seit der ersten Saison in unserem Kalender ist.
Und wo gibt es aus Ihrer Sicht noch Verbesserungspotential?
Wir können die Ausstrahlung noch einfacher zugänglich machen, mehr "Behind the Scenes"-Inhalte liefern und noch besser mit den Fans auf verschiedenen Kanälen interagieren.
Die Formel E war immer sehr experimentell, das zeigen Maßnahmen wie der Attack Mode oder der Fan Boost. Haben Sie schon neue Ideen im Kopf, um das Racing zu verbessern?
Das neue Qualifying-Format bringt schonmal viel Spannung rein und soll eines unserer Kennzeichen werden. Darüber hinaus wird es noch mehr Innovationen geben, zum Beispiel den Booster, ein ultraschnelles Aufladen der Batterie mitten im Rennen.
Eines der Alleinstellungsmerkmale der Formel E ist es, dass die Rennen auf Stadtkursen ausgetragen werden und damit gut erreichbar sind. Wie wichtig war dieser Aspekt bei der Gründung der Rennserie?
Es war ein ganz wichtiger Faktor. Wir wollten verhindern, dass die Fans zu Tausenden mit ihren eigenen Autos anreisen müssen. Bis heute ist das einer der großen Unterschiede zu anderen Rennserien. Es ist Teil unserer DNA und Berlin ist das beste Beispiel dafür: Wir kommen seit zehn Jahren hierher und sind schon an verschiedenen Orten in der Stadt gefahren.
Worin bestehen die Schwierigkeiten, ein Formel-E-Rennen auf die Beine zu stellen?
Wenn wir an neue Orte kommen, versuchen wir immer, etwas auf die Beine zu stellen, was noch niemand zuvor gemacht hat. Keine andere Rennserie ist bisher mitten in Tokio ein Rennen gefahren, genauso in New York. Das bringt natürlich gewisse Herausforderungen mit sich: Zunächst einmal brauchen wir die Erlaubnis der Stadt und dann muss eine technische Überprüfung ergeben, dass es möglich ist, ein Rennen dort abzuhalten. Nach 132 Formel-E-Rennen kann man inzwischen aber sagen, dass wir Experten für Stadtrennen geworden sind.
Weltweit ist E-Mobilität auf dem Vormarsch, viele Länder haben sich ehrgeizige Transformationsziele gesetzt. Sind die Städte und Länder dadurch kooperativer geworden?
Definitiv. In Ländern, die sich dem Wandel hin zur E-Mobilität verschrieben haben, ist es für uns leichter, Zugang zum Markt zu bekommen. Die Verantwortlichen sehen den Nutzen, den wir als Botschafter der E-Mobilität mitbringen. Nicht umsonst sind wir die am schnellsten wachsende Motorsportserie der Welt.
Auch die Formel 1 will immer grüner werden. Ist das für die Formel E ein Wettbewerbsproblem?
Nein, denn wenn andere dem Weg folgen, den die Formel E von Anfang an angeführt hat, dann sind wir in erster Linie stolz darauf. Die Zukunft ist elektrisch und es ist gut für uns alle, wenn sich auch andere Rennserien dahin entwickeln. Außerdem haben wir auch noch andere Merkmale, die uns herausstechen lassen. Die Autos der kommenden Generation werden schneller beschleunigen können als alle anderen Rennwagen. Und wir helfen Herstellern wie Nissan oder Porsche, neue E-Technik von der Formel E in Straßenautos zu bringen.