Vor drei Wochen war die Welt an der Elbe noch in Ordnung. Mit Steffen Baumgart war dem HSV eine scheinbar perfekte Verpflichtung gelungen. Denn der erfahrene Bundesligacoach war zu seinem "Kindheitsverein" gewechselt.
Ausgerüstet mit der HSV-Version seiner typischen Schiebermütze gab Baumgart bei seiner Vorstellung die Richtung klar vor: "Das Ziel ist klar, da müssen wir nicht drum herumreden: der Aufstieg."
Drei Wochen später ist die langersehnte Bundesligarückkehr auch im sechsten Anlauf akut gefährdet. Die ernüchternde Baumgart-Bilanz: Drei Spiele, ein Sieg, zwei Niederlagen. Der HSV liegt zehn Punkte hinter dem ungeliebten Nachbarn aus St. Pauli auf dem Relegationsplatz. Nach dem 0:2 gegen Düsseldorf ist die Fortuna auf einen Punkt herangerückt.
Verständlich also, dass die Aufbruchsstimmung bei den Fans schon wieder verpufft ist. Nach der Auswärtsniederlage machte der leidgeprüfte Anhang aus seiner Enttäuschung keinen Hehl. Ein lautstarkes Pfeifkonzert begleitete die Mannschaft bei ihrem Gang in die Kurve. Das gab es schon länger nicht mehr.
Zwischen der organisierten Fanszene und den Verantwortlichen brodelt es auch aus anderen Gründen gewaltig. Bei einer umstrittenen Polizei-Maßnahme in Hamburg Bergedorf wurden im Februar rund tausend Fans über Stunden festgesetzt. Die Ultras reagierten mit einer Anti-Polizei-Choreographie und einer öffentlich verbrannten Polizeiuniform.
Die organisierte Fan-Szene kritisiert eine fehlende Solidarisierung seitens des Vereins. Auch ein ausführliches Statement des HSV-Direktors für Fans, Kultur und Identität Cornelius Göbel konnte die Wogen nicht glätten. Denn dieser hatte den Polizeieinsatz zwar verurteilt, angesichts der Ultra-Aktionen aber auch Stadionverbote ins Spiel gebracht.
Gerade in diesen Krisenzeiten kommt ein Riss zwischen Fans und Verein natürlich gar nicht gelegen. Die "Hamburger Morgenpost" hat neben dem Fan-Konflikt noch weitere Brandherde ausgemacht, die auf der Mission Wiederaufstieg für Probleme sorgen könnten.
Zum einen ist da die Spielphilosophie Baumgarts, die noch nicht so ganz zur Mannschaft passen will. Sein Vorgänger Tim Walter setzte auf spielbestimmenden Ballbesitzfußball. Baumgart fordert von seiner Mannschaft hohe Intensität, frühes Pressing und schnelles Umschalten.
Doch dieser Plan geht noch nicht auf. Die "Sportschau" zählt den HSV bei der Laufleistung gar ligaweit auf dem letzten Platz. Hier ist Baumgart gefragt, sein System anzupassen, denn um den Kader lauffreudiger zu machen, dürfte die Zeit kaum reichen.
Federführend verantwortlich für den Kader ist Sportvorstand Jonas Boldt. Seit 2019 ist der 42-Jährige im Amt und damit mit dem ausbleibenden sportlichen Erfolg verbunden. Sollte der Aufstieg schon wieder nicht gelingen, gilt eine Trennung als unvermeidlich.
Im Aufsichtsrat bröckelt der Rückhalt spätestens seit dem Winter, als Boldt an Walter festhielt, berichtet die "Hamburger Morgenpost". Nicht wenige sind der Ansicht, Boldt habe die Lage falsch eingeschätzt. Auch fehlende öffentliche Statements angesichts der Krise werden als Wegducken gewertet.
Die Lage beim HSV ist dramatisch. Auf Trainer, Verein und Fans kommen entscheidende Wochen zu.