Die Frau ist für den Mann ein zwiespältiges Wesen. Heilsbringerin und Verderberin. Eva und Jungfrau Maria. Quell des Lebens und Macht der Finsternis: In den Mythen tritt sie in Gestalt der fruchtbaren Erde auf, doch auch der Tod ist ihr Werk – wird irdisches Leben geschaffen, birgt es immer auch schon dessen Ende in sich.
Deshalb graust es den mythischen Mann vor seiner eigenen Entstehung und vor der Frau, in deren düsterem Mutterleib er seinem sicheren Tode entgegenwächst. Er projiziert das Grauen vor seiner Sterblichkeit in sie hinein. Durch sie wird er zum körperlichen, sterblichen Wesen degradiert.
Tod und Fruchtbarkeit sind verschwistert, und der dunklen Seite kann nur mit einer neuen Geburt beigekommen werden: Das ist der ewige Zyklus der Menschheit.
Vom Zeitpunkt an, da ein Mädchen in diesen Zyklus einsteigt und fortpflanzungsfähig wird, beginnt sie auch, unrein zu werden. So haben das gewisse Naturvölker gesehen, ebenso die alten Ägypter, Griechen und Römer, und später auch die Juden, Christen und Moslems.
Im Gesetzbuch des Manu aus dem alten Indien steht geschrieben:
Diese Sichtweise rührt daher, dass man fürchtete, die weibliche Kraft wirke während dieser Tage am stärksten und vermöge gar über die männliche zu triumphieren.
Der französische Ethnologe Claude Lévi-Strauss berichtet von indigenen Gesellschaften, die ihre blutenden Frauen auf dem Dach ihres Hauses unterbrachten oder sogar aus dem Dorf verbannten. In ihrem unreinen Zustand durfte sie niemand sehen und schon gar nicht berühren. Ja, nicht einmal sich selbst durften sie anfassen.
Bei Völkern, die sich täglich entlausen, gab man der menstruierenden Frau ein Stöcklein, mit dem sie sich kratzen konnte. Andere gewährten den Schwestern oder Müttern der Blutenden, sie mit Werkzeugen zu füttern. Und alle Gegenstände, mit denen sie in dieser Zeit in Kontakt kam, mussten verbrannt werden.
Auf den Aleuten glaubte man, das menstruierende Mädchen sei von einem gefährlichen Dämon besessen. Sieht sie während dieser Zeit ihren Vater, wird sie blind oder stumm.
Von einem anderen Stamm ist überliefert, dass der monatliche Blutfluss mit dem Biss einer Schlange erklärt wurde. Die Frau pflegt in der volkstümlichen und später auch in der jüdisch-christlichen Vorstellung eine bedenkliche Verwandtschaft zu diesem Reptil. Und ihr Blut sei giftig wie das ihres Schwestertiers.
Einzig bei mutterrechtlichen Indianerstämmen hatte die Menstruation auch positive Kräfte: Das Blut wurde für Liebestränke verwendet, als Heilmittel von Schnitt- und Quetschwunden. Und wenn die Männer in den Kampf zogen gegen die phantastischen Ungeheuer, die ihre Flüsse heimsuchten, hefteten sie ein in Menstruationsblut getränktes Faserbündel an ihr Boot. Denn seine Ausdünstungen brachten den übernatürlichen Feinden Verderben.
In der Antike wurde die Periode als Abfluss von überschüssigen Säften interpretiert. Für Hippokrates war die Frau von Natur aus ein krankes Wesen und die Menstruation damit eine Art natürlicher Aderlass, die sie vor den Folgen ihrer Krankhaftigkeit bewahrt.
Aristoteles sah die Frauen als mangelhafte, weil zeugungsunfähige Männer, die nicht über das Stadium der Menstruation hinausgekommen sind. Der echte Mann sei wärmer und könne darum sein überschüssiges Blut kochen und als Samen ausscheiden, während sie eben nur blutet.
Gemäß Galen war der weibliche Säfte-Überfluss ihrem untätigen Leben geschuldet. Und Plinius beschrieb erstmals den giftigen Einfluss der menstruierenden Frau auf die Umwelt. Dieser Glaube sollte sich noch bis ins 20. Jahrhundert halten.
Für die Benediktinerin Hildegard von Bingen, die im düsteren 12. Jahrhundert ihr heiliges Leben hinter dicken Klostermauern verbrachte, war die Regelblutung die Folge des Sündenfalls. Hätte Eva Adam nicht verführt, wären die "weiblichen Gefäße" alle unversehrt und für immer verschlossen geblieben. Und die Einzige, die sowieso nie menstruiert habe, sei die Heilige Jungfrau Maria. Sie habe schließlich auch ohne Geschlechtsverkehr ein Kind empfangen.
Der Glauben an die Giftigkeit der Menstruation beherrschte das gesamte Mittelalter. Blumen würden verdorren, die Milch würde sauer und der Most vergäre.
Für viele Christen war die weibliche Blutung schuld an den Plagen, die die mittelalterliche Bevölkerung so hartnäckig dezimierte: An der Syphilis, an der Lepra und sogar an der Pest.
Schon im dritten Buch Mose wird dem Mann der Geschlechtsverkehr mit einer menstruierenden Frau streng untersagt. Widersetzt er sich diesem Gesetz bewusst, soll das Paar aus dem Volk ausgestoßen werden und sterben.
Um 1520 beschrieb Paracelsus das Menstrualgift "Menotoxin". Es gebe in der Welt kein Gift, das schädlicher sei, ließ er sich in seinen Schriften verlauten.
Die Aufklärung brachte nicht unbedingt Licht ins Mysterium der Menstruation. Für den Genfer Philosophen Jean-Jacques Rousseau war sie eine Folge der verderblichen Zivilisation. Die Natur der Frau würde durch zu viel Essen und zu wenig Bewegung beeinträchtigt.
1827 entdeckte Carl Ernst von Bahr die weibliche Eizelle, und den Menschen begann allmählich der Zusammenhang zwischen Menstruation, Eisprung und Fortpflanzung aufzugehen. Daher vertraten viele Ärzte die Ansicht, dass jede zur Reife gebrachte Eizelle auch ihrer natürlichen Bestimmung zugeführt werden müsse. Die Frau sollte im Idealfall pausenlos schwanger sein und niemals menstruieren.
Wilde Theorien über das "periodische Irresein der Frau" und ihre "große Gemeingefährlichkeit" untermauerten indessen die teuflische Natur der Frau. Und die Giftigkeit ihres Mensblutes wurde noch immer mit einer beispiellosen Ausdauer zu beweisen versucht.
1878 steht in einem Artikel des "British Medical Journal" geschrieben:
Der Autor fügt seiner Beweisführung die ureigene Beobachtung hinzu, dass zwei Schinken in seiner Anwesenheit auf diese Weise verdarben.
1920 glaubte der Wiener Professor Béla Schick den Giftstoff Menotoxin entdeckt zu haben. Auch er beobachtete Sonderbares. Blumen verwelkten in den Händen einer Menstruierenden. Und der Hefeteig habe sich gesträubt, in ihrer Gegenwart aufzugehen. Erst 1958 wurde die wissenschaftliche Debatte über die Existenz des Giftes zu Grabe getragen.
Als die Frauen im 20. Jahrhundert begannen, die von Männern dominierte Berufswelt zu bevölkern, proklamierte die Frauenheilkunde die Schonungsbedürftigkeit der Frau während der Menstruation: Die intellektuellen Fähigkeiten der Studentinnen würden während ihrer Regel leiden. Und Binden sollten vermieden werden, sie würden nur den natürlichen Blutfluss stoppen. Der Bestimmungsort der Frau sollte das Haus bleiben.
Im Englischen bezeichnet das Wort "curse" auch die Monatsblutung. Und ja, sie ist tatsächlich ein Fluch. Nur kein giftiger, zerstörerischer. Und keiner, der die Manneskraft zum Versiegen bringt.
Heute kämpfen viele Künstlerinnen für die totale Enttaubuisierung der Regelblutung. Rupi Kauer zum Beispiel, die 2015 mit ihrem Menstruations-Bild eine weltweite Debatte auslöste.
Oder die Amerikanerin Poppi Jackson, die sich in einem ihrer Werke in die Ecke eines alten Polizeigebäudes stellte, und auf einen abgewetzten Teppich menstruierte.