Eine Hebamme, die werdenden Eltern während der Schwangerschaft zur Seite steht, ist zur Mangelware geworden – egal wo, auf dem Land genauso wie in der Stadt. Deshalb werden am 5. Mai, dem Internationalen Hebammentag, in ganz Deutschland viele Frauen auf ihre Situation aufmerksam machen. Die Gründe für den Protest sind vielfältig: teure Haftpflichtprämien für freiberufliche Geburtenhelferinnen, hohe Arbeitsbelastung bei geringer Bezahlung und unattraktive Arbeitszeiten.
So groß ist der Mangel an Hebammen:
Das Positive vorweg: Die Zahl der Hebammen in Deutschland ist leicht gestiegen. Laut dem Statistischen Bundesamt halfen 2016 rund 11.100 Hebammen und Entbindungspfleger in deutschen Krankenhäusern bei der Geburt. 2015 waren es ebenfalls rund 11.000, ein Jahr zuvor rund 10.800.
85 Prozent der Kräfte, also 9300 Hebammen – unter ihnen lediglich vier Männer – waren 2016 fest angestellt.
Manuela Rauer ist seit 20 Jahren Hebamme, 18 Jahre lang war sie Freiberuflerin, seit zwei Jahren arbeitet sie als beratende Hebamme beim Deutschen Hebammenverband.
Warum sind
Sie Hebamme geworden?
Es ist ein
Beruf mit vielen verschiedenen Tätigkeitsfeldern. Hebammen können
beispielsweise in der Klinik im Kreißsaal, auf der Wöchnerinnenstation, in
Praxen, in Familienberatungsstellen oder auch freiberuflich arbeiten. Für mich
war es damals sehr wichtig zu wissen,
dass ich freiberuflich arbeiten kann. Hebammen begleiten
Menschen in einem sehr spannenden und emotionalen Abschnitt ihres Lebens, in dem
sehr viel Beratungsbedarf besteht. Auch
aus medizinischer Sicht ist es ein anspruchsvoller Beruf.
Hat sich der
Beratungsbedarf der Eltern in den 20 Jahren Ihrer Tätigkeit inhaltlich geändert?
Der einzelne
Betreuungsbedarf pro Frau ist heutzutage wesentlich höher als noch vor wenigen
Jahren. Es gibt mittlerweile reguläre Frühentlassungen aus Klinken, und es kann pro Frau mehr Hebammenhilfe in Anspruch genommen werden. Außerdem steigt der
Bedarf an Hebammenhilfe, da die Frauen wissen, dass sie ein
Recht auf Hebammenhilfe haben und die familiäre Unterstützung, beispielsweise in
Großfamilien, abgenommen hat.
Grundsätzlich sind es immer sehr ähnliche Fragen: Der
Körper verändert sich, die werdenden Eltern bereiten sich auf ein großes
Ereignis vor. Gerade beim ersten Kind weiß niemand so genau, was einen da
erwartet. Aus dem Paar wird eine Familie, die Umstellung in den ersten Tagen
und Wochen mit einem Kind ist groß. All diese Dinge haben sich nicht verändert.
Was sich verändert hat, sind die Rahmenbedingungen und die Geburtshilfe an
sich.
Was meinen
Sie damit konkret?
Die
Kaiserschnittrate ist beispielsweise extrem gestiegen und liegt inzwischen bei mehr als 30 Prozent. Allgemein gibt es wenige Geburten, bei denen nicht
interveniert wird. Im Optimalfall ist Geburtshilfe Unterstützung und Begleitung
eines physiologischen, also natürlichen Vorgangs. Das ist heute nur noch
selten der Fall.
Auch in anderen Berufsgruppen sind die Bedingungen – gerade in der Ausbildung – alles andere als rosig:
Und
inwiefern haben sich die Arbeitsbedingungen verändert?
Die
Geburtenzahlen steigen, aber der Personalschlüssel ist nicht dementsprechend. Dazu kommt eine aufwändige Dokumentation. Das,
was wir immer wieder aus der Pflege hören, ist im Kreißsaal nicht anders. Die
Kolleginnen sind deshalb sehr überlastet. Als ich in den 90er-Jahren meine
Ausbildung gemacht habe, war das noch besser.
Was macht eine Hebamme eigentlich?
Hebammen begleiten Frauen während Schwangerschaft und Geburt bis hin zum Ende der Stillzeit. Kurse zur Geburtsvorbereitung bieten sie ebenso an wie die Rückbildungsgymnastik nach der Geburt. Sie leisten Vorsorgeuntersuchungen, beraten bei Beschwerden ebenso wie bei eventuell auftretenden psychischen Problemen.
Gerade wenn sie Geburtshilfe leisten, müssen freiberuflich arbeitende Hebammen rund um die Uhr einsatzbereit sein. Die Ausbildung an einer Hebammenschule dauert drei Jahre. Seit 2008 kann man den Beruf der Hebamme auch über ein Studium erlernen, allerdings unterscheiden sich die Regelungen in den Bundesländern.
Was bedeutet
der Personalschlüssel in der Praxis? Wie viele Frauen darf eine Hebamme
betreuen?
Das ist nach
oben offen. Aber aus Erfahrung kann ich sagen, dass eine Hebamme nicht mehr als
zwei Frauen gleichzeitig betreuen sollte. Das ist insofern gut machbar, weil
davon auszugehen ist, dass beide an unterschiedlichen Punkten im Verlauf der Geburt
sind.
Wenn mehr als zwei Frauen betreut werden müssen, wird es schwierig. Man
muss auch bedenken, dass es zu
Schwierigkeiten im Geburtsverlauf kommen kann. Eine Hebamme muss die Frau, die
Situation und das Kind im Bauch im Blick haben. Wenn dann die Arbeitsbelastung
zu groß ist, und das ist heutzutage nicht selten in den Kreißsälen der Fall, dann ist das nicht nur
Stress, sondern kann zur Gefährdung des Kindes führen.
Welche
Probleme können aufgrund dieser Überlastung auf werdende Eltern zukommen?
Wenn ausreichend
Zeit für die einzelne Frau fehlt, dann kann es passieren, dass Unregelmäßigkeiten im Verlauf
einer Geburt nicht sofort erkannt
werden. Das heißt nicht immer automatisch, dass Mutter und Kind zu Schaden kommen. Aber Eingriffe, die man
eigentlich hätte vermeiden können, hätten verhindert werden können. Die Frau
und das Kind in unserem hochzivilisierten Land haben beide eine zugewandte und individuelle
und damit bessere Betreuung verdient.
Viele
Hebammen bleiben nur vier bis sieben Jahre im Schnitt im Beruf. Weshalb ist das so?
Wenn
Hebammen diese Arbeitsbedingungen über mehrere Jahre mitgetragen haben, dann
suchen sie sich zwar nicht unbedingt einen neuen Beruf, verlassen aber häufig
die Kreißsäle und sehen sich nach einer Alternative um.
Können
Mütter und Kinder in Deutschland überhaupt noch angemessen betreut werden?
Wir
müssen uns einerseits klarmachen, dass wir eine medizinische Versorgung auf
hohem Niveau haben, die Mütter- und
Säuglingssterblichkeit ist in
Deutschland sehr gering. Dennoch ist
es wichtig, die heutigen Standards in
der Geburtshilfe kritisch zu hinterfragen. Denn es kommt zu viel mehr
Eingriffen, als für Mutter und Kind gut ist.
Auch in Sachen Armut muss sich in Deutschland etwas tun:
Was müsste
sich Ihrer Meinung nach ändern, um die Situation von Hebammen zu verbessern?
Es müsste
eine Debatte darüber geben, welche Art der Geburtshilfe wir hier in Deutschland
haben wollen. Wir wollen nicht wieder zurück in die Steinzeit, das ist klar,
aber wir sollten uns darüber bewusst werden, dass nicht alles, was
medizintechnisch möglich ist, Standard sein sollte. In diesem Zusammenhang ist
häufig weniger mehr.
Die Bezahlung der Hebammen sollte angemessen sein und der
Beruf muss wieder attraktiver werden. Das heißt: Die Personalstellen im
Kreißsaal müssen aufgestockt werden, die Freiberuflerinnen müssen dem
Betreuungsaufwand und ihrer Verantwortung gemäß bezahlt werden. Ein erster Schritt ist eine
Änderung der Ausbildung, wie sie auch in Bereichen der Pflege gerade stattfindet. So
soll die Hebammenausbildung komplett
akademisiert werden, was den Beruf attraktiver machen wird.
Übrigens gehört
Deutschland mit drei kleinen Mitgliedstaaten in der EU zu den Schlusslichtern
beim Thema Akademisierung. Und das, obwohl die Kolleginnen heute bereits auf akademischem Niveau
arbeiten, ohne in der Regel einen entsprechenden Abschluss zu haben. Wir gehen
davon aus, dass es durch die Akademisierung in Zukunft wieder mehr Hebammen
geben wird, weil ein Studium für viele einen großen Anreiz darstellt.
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Arbeitest du selbst als Hebamme und hast schon krasse Erfahrungen gesammelt? Oder wolltest du eine Hebamme und hast keine bekommen? Arbeitest du in einem anderen Pfelegeberuf und möchtest mit uns – gerne anonym – darüber sprechen? Dann schreib uns an redaktion@watson.de.
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