Gertrud ist 71 Jahre alt, Renterin, und wohnt in einer deutschen Kleinstadt. In der DDR hat sie als Bibliothekarin gearbeitet. 1989, drei Wochen vor dem Mauerfall, floh sie in den Westen, wo sie in einer Drogerie arbeitete, bis sie nach ihrer Scheidung krank und erwerbsunfähig wurde. Heute lebt sie von einer Rente über 672 Euro und gelegentlichen Geldgeschenken. Gertrud ist nicht ihr richtiger Name, sie möchte anonym bleiben.
Es bleiben 107 Euro zum Leben. Davon zahlt sie 18 Euro für den Frisör und 25 Euro für die Fußpflege und den Rest für Essen.
Klar. Ich werde ja auch so angesehen. Wenn jemand hört, dass ich Rente bekomme und freiwillig auf die Grundsicherung verzichte, werde ich sofort in die unterste Schublade gesteckt.
Ein paar Jahre lang bekam ich zusätzlich zur Rente eine monatliche Grundsicherung über 120 und 180 Euro. Auf diese verzichte ich jetzt aber. Ich will nicht abhängig vom Sozialamt sein. Das Amt hat Einsicht in Konten und ich muss für alles Rechenschaft abgeben. Ich muss alle Einnahmen und Geschenke angeben, das wird alles verrechnet oder abgezogen. Wenn ich zum Beispiel Strom spare und Geld zurückkriege, wird es mir wieder abgezogen. Manchmal gewinne ich auch etwas im Kreuzworträtsel, das müsste ich dann auch verrechnen lassen. Ich hätte keine Möglichkeit mir etwas anzusparen, so wie ich es jetzt tue.
Seit ich auf die Grundsicherung verzichte, fühle ich mich besser, ich habe meine Selbstachtung zurück.
Ich nehme oft Essen und Getränke selber mit, damit ich mir unterwegs nichts kaufen muss. Auch sonst merke ich, dass ich arm bin. Nach meiner Scheidung wollte ich meinen Namen ändern und musste mir einen Anwalt nehmen. Das hat 1500 Euro gekostet, die ich nicht hatte. Also habe ich einen guten Freund um einen Kredit gebeten. Am Ende hat er mir die Summe dann geschenkt. Wenn ich etwas ändern will, muss ich immer erst kämpfen.
Im Dezember bekomme ich immer mein Sparguthaben von der Bank ausbezahlt, das ich vorher gespart habe. Das sind ungefähr 600 Euro, mein Notgroschen. Zu Weihnachten bekomme ich von manchen Menschen Geld, das hebe ich dann auch auf. Hungern muss ich nicht, aber ich achte auch sehr auf mein Geld und suche immer Wege es zusammenzuhalten.
Wenn ich beim Fernsehen nicht arbeite oder Kreuzworträtsel mache, habe ich auch keine Lampe an. Die Tageszeitung leiht mir mein Vermieter aus.
Ja, ein Freund hilft mir regelmäßig. Sonst ginge es gar nicht, vor allem ohne Grundsicherung. Er geht einmal die Woche mit mir frühstücken, danach kaufen wir für mich für die Woche im Supermarkt ein. Außerdem gibt er mir "Bewegungsgeld", womit ich mir Fahrkarten kaufen kann.
Es ist mir eh schon peinlich, dass ich nicht anders über die Runden komme. Außerdem hilft mir mein Sohn. Er ist eigentlich nicht mein Sohn, sondern ein christlicher Flüchtling aus dem Iran, den ich vor einem Jahr in meiner Kirche kennengelernt habe und seitdem jeden Tag treffe. Ich helfe ihm, Deutsch zu lernen, dafür hat er mir bei meinem Umzug geholfen.
Ich kaufe jeden Monat ein Los für 14 Euro und mache bei vielen Gewinnspielen und Rätseln in Zeitschriften mit. Dabei habe ich nie mehr als 250 Euro Bargeld gewonnen, dafür aber andere Dinge wie zum Beispiel einen Abnehmkurs und drei Übernachtungen in einem 5-Sterne-Hotel. Oft ist dann aber An- und Abreise und Verpflegung nicht mit inbegriffen. Als ich im 5-Sterne-Hotel mein mitgebrachtes Butterbrot auspackte, kam ich mir ganz fehl am Platz vor.
Eine Rentner-Monatskarte für 83 Euro. Damit konnte ich dann einen Monat ein bisschen rumfahren, denn ich nutze gerne jede Gelegenheit, um aus der Kleinstadt zu kommen. Das macht mir Spaß. Ich besuche dann auch viele Sozial-Kaufhäuser, wo ich lustige oder interessante Sachen für wenig Geld finde. Mittagessen ist aber nicht drin, ich nehme dann etwas mit und esse es alleine im Park auf einer Bank.
Ich vermisse es, auf Konzerte oder ins Theater zu gehen. Außerdem würde ich gerne alle vier Wochen zum Frisör gehen, schneide mir aber nun oft selbst die Haare. Bis auf die Sterbeversicherung habe ich alle Versicherungen gekündigt. Ich muss seitdem vorsichtig leben, damit nichts passiert.
Ich bin der Meinung, dass meine Rente falsch berechnet wurde, so wie das bei vielen Ost-Flüchtlingen der Fall ist. Sie fällt viel zu niedrig aus. Außerdem habe ich das Gefühl, die Regierung verharmlost die Situation von armen Menschen.