Immer mehr Menschen erkranken an Parkinson. Aktuell wird davon ausgegangen, dass die Zahlen sich bis 2040 weltweit verdoppeln – nachdem sie sich von 1990 bis 2015 bereits von drei auf sechs Millionen verdoppelt haben.
Das liegt vor allem am demografischen Wandel und daran, dass die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung mit dem Alter steigt. Aber es betrifft auch junge Menschen: Jede zehnte Person ist bei der Diagnose unter 40.
So ging es auch Chris, der bei seiner Diagnose mitten im Leben stand. Watson hat sich mit ihm über einen Eingriff unterhalten, der ihm wieder Kontrolle über seinen Körper gegeben hat. Wie sicher die Technik dafür ist, haben wir außerdem Rainer Puster von Boston Scientific gefragt.
Watson: Chris, was waren deine Symptome und wie war der Weg zur Diagnose?
Chris: Mein erstes Symptom war der Tremor in der linken Hand. Das habe ich lange nicht wahrhaben wollen, bis es nicht mehr zu übersehen war. Ich bin dann zum Hausarzt und wurde direkt an eine Uniklinik verwiesen. Da habe ich relativ schnell meine Diagnose bekommen: Parkinson.
Wie ging es dir, als du das gehört hast: Diagnose Parkinson?
Chris: Auf der einen Seite war ich froh, dass meine Beschwerden einen Namen haben und ich endlich wusste, was es ist. Auf der anderen Seite war ich geschockt – ich war gerade mal 37 und dachte immer, das haben nur alte Menschen. Ich habe dann recherchiert und festgestellt, dass auch viele junge Menschen an Parkinson erkranken.
Was waren die ersten medizinischen Schritte nach der Diagnose?
Chris: Ich habe angefangen, klassische Parkinson-Medikamente einzunehmen und die bis 2023 eingenommen. Und dann habe ich mich für die Tiefe Hirnstimulation (THS) entschieden.
Kannst du erzählen, wie die THS funktioniert?
Chris: Dabei werden zwei Elektroden ins Gehirn eingesetzt. Diese werden mit einem Stimulator verbunden, der unter einem der Schlüsselbeine angebracht wird. Der Stimulator gibt dann ständig Stromimpulse an das Gehirn ab, damit dieses Dopamin produziert. Das ist der Botenstoff, den unser Nervensystem benötigt, um zu funktionieren. Bei Parkinson nimmt die Fähigkeit des Gehirns ab, Dopamin selbst zu produzieren.
Warum hast du dich für so einen Eingriff entschieden?
Chris: Zunächst war die Vorstellung einer solchen Prozedur für mich ganz weit weg. Zu dem Zeitpunkt habe ich fünfmal am Tag Medikamente eingenommen und war körperlich schon sehr eingeschränkt. Die Medikamente wirkten bei mir aber nicht gleichmäßig über den ganzen Tag – dann kommt der Tremor wieder durch und der Leidensdruck war so groß, dass ich mir doch um eine THS Gedanken gemacht habe.
Ein Teil dieser OP wurde bei vollem Bewusstsein durchgeführt. Wie ging es dir währenddessen?
Chris: Den Anfang und das Ende bekommt man nicht mit, da ist man unter Vollnarkose. Bevor die Elektroden eingesetzt wurden, hat man mich aus der Narkose zurückgeholt. Dadurch kann man sicherstellen, dass die richtigen Areale im Hirn angesprochen werden. Ich habe mir das viel schlimmer vorgestellt, als es tatsächlich ist. Ich will das auf gar keinen Fall beschönigen – aber ich war einfach nur glücklich, die OP hinter mich gebracht und den Schritt gewagt zu haben.
Was ist dir so durch den Kopf gegangen, als du auf dem OP-Tisch lagst?
Chris: Gar nichts. Ich stand unter Beruhigungsmitteln und dachte mir nur: "Ich würde jetzt ganz gerne fertig werden". Links und rechts standen auch Leute aus dem OP-Team neben mir, haben sich mit mir unterhalten und waren für mich da.
Wie war die Zeit nach der OP?
Chris: Bei mir ist alles sehr gut verlaufen. Ich konnte nach dem zweiten Tag langsam aufstehen, habe sofort die Besserung gespürt. Ich sage immer, die Zeit nach der OP ist mein Leben 3.0: Ich hatte ein Leben vor Parkinson, eins mit und jetzt ein drittes mit der THS. Es ist wirklich ein ganz neues Lebensgefühl. Außerdem nehme ich seitdem keine Parkinson-Medikamente mehr.
Würdest du die OP anderen Menschen mit Parkinson empfehlen?
Chris: Empfehlen ja – aber die Entscheidung muss jeder selbst treffen. Ich teile meine Erfahrung gern und habe inzwischen einen Verein gegründet, die Parkinson Paten, in dem Menschen mit Parkinson in den Austausch treten können. Dadurch kenne ich viele Leute, die gerade überlegen, eine THS zu machen oder sie schon hinter sich haben und die Gründe für oder gegen diesen Eingriff sind sehr individuell. Aber ich kann aus meiner Erfahrung sagen: Man kommt durch den Tag und die Umstellung danach durch und es lohnt sich. Ich würde es immer wieder machen.
Wie ist es für dich, wenn Leute auf dich zukommen und dir sagen, sie haben gerade die Diagnose Parkinson bekommen? Gibt es für so eine Situation aufmunternde Worte?
Chris: Das ist ganz individuell. Parkinson würde man sich wohl nicht aussuchen. Aber ich sage immer: Man stirbt mit Parkinson, nicht an Parkinson. Das Leben ist mit dieser Diagnose nicht vorbei. Man kann viel tun und sich medikamentös oder durch eine THS behandeln lassen. Seit der Diagnose lebe ich viel bewusster und mehr im Hier und Jetzt, denn von einem Tag auf den anderen kann sich eben das ganze Leben ändern. Das versuche ich auch immer weiterzugeben.
Rainer, Boston Scientific ist eines der Medizintechnik-Unternehmen, die sich auf dieses Verfahren spezialisiert haben. Wie sicher ist die THS?
Rainer: Die THS wurde bereits vor 30 Jahren in Grenoble, Frankreich, entwickelt und ist ein erprobtes Verfahren. Es wurde weltweit bereits mehrere hunderttausend Male eingesetzt. Seit 2005 ist Boston Scientific in Europa im Bereich Neuromodulation mit Lösungen auf dem Markt, die Bewegungsstörungen und chronische Schmerzen behandeln können. Außerdem können wir inzwischen vorab MRT-Scans vom Gehirn machen und so den Eingriff bildgestützt an der individuellen Anatomie genau planen.
Und wenn die Elektroden einmal im Hirn sind, kann man damit für den Rest seines Lebens ohne weitere Eingriffe leben?
Rainer: Zunächst einmal ist die THS grundsätzlich reversibel, daneben kann man die Einstellungen auch von außen nachjustieren, um die Therapie anzupassen, da Krankheiten wie Parkinson nicht statisch sind, sondern sich mit der Zeit entwickeln. Dafür ist kein weiterer Eingriff erforderlich. Bei der THS muss zwischen aufladbaren und nicht aufladbaren Systemen unterschieden werden. Die aufladbaren Systeme müssen etwa einmal die Woche via Induktion aufgeladen werden. Das andere System hat eine Batterie, die einige Jahre hält, dann aber ausgetauscht werden muss.
Worin liegt für die Patient:innen der Hauptnutzen?
Rainer: Eine THS ist keine Heilung, sie unterdrückt viele typische Symptome von Bewegungsstörungen – aber man hat wieder Kontrolle über seinen Körper und sein Leben. Das hat auch einen positiven psychologischen Effekt, der für viele Patient:innen sehr wichtig ist.
Chris: Ja, man ist einfach wieder selbstständiger, wenn man sich vernünftig bewegen kann. Man kann wieder im Haushalt mithelfen und hat wieder das Gefühl, sich nützlich machen zu können. Wieder was zurückgeben zu können, ist ein wichtiger Teil.
Rainer: Diesen Punkt, wieder etwas zurückgeben zu können, hat mir gegenüber vor kurzem auch ein anderer Parkinson-Patient erwähnt. Seine Frau ist durch seine Diagnose fast "unsichtbar" geworden. Von ihm wollten immer alle wissen, wie es ihm geht – von ihr wollten jedoch auch immer nur noch alle wissen, wie es ihm geht. Ihm war das schon unangenehm, weil sie viel für ihn geleistet hat, er aber allein im Fokus stand. Nach dem Eingriff konnte er ihr beispielsweise wieder eine Tasse Kaffee machen und ihr so etwas zurückgeben. Das mag von außen wie eine kleine Sache wirken, aber war für ihn sehr wichtig.