"As vegan as possible" – die watson-Kolumne zu vegetarischem und veganen Leben
Veganer sind mager, machen ständig Yoga und tragen farblose Jutekleidung? An Klischees über Menschen, die sich pflanzenbasiert ernähren, mangelt es wirklich nicht. Dass alle, die Yoga nicht nur als Gymnastik verstehen, spätestens bei dem Yama "Ahimsa" (Gewaltlosigkeit) an einen Punkt kommen, an dem sie zumindest darüber nachdenken, wie sich die Yoga-Philosophie mit dem Quälen und Schlachten von Tieren vereinbaren lässt, ist sicher nicht ungewöhnlich. Dennoch existiert ein großer Teil an Yoga-Praktizierenden, die weder vegetarisch noch vegan leben. Das Gleiche gilt für das Körpergewicht. Warum genau sollte ein Veganer schlanker sein als andere?
Natürlich enthalten Fleisch und Milchprodukte Fett, während reines Gemüse kalorienarm ist. Vegane Ernährung bedeutet jedoch nicht, bestimmte Lebensmittel einfach nur wegzulassen. Statt Geschnetzeltem mit Rahmsauce und Reis, verzichte ich nicht auf Fleisch und Sauce und esse stattdessen ausschließlich Reis. Würde dieses Gericht bei einem privaten Treffen auf dem Menü stehen, würde ich mit dem Reis für mich eine pflanzlich basierte Bowl kreieren – vielleicht asiatisch angehaucht mit Avocado, angebratenem Tempeh, Edamame, Gurken, Kohl und einer Kokos-Mango-Sauce. Oder orientalisch mit Auberginen-Püree, Hummus, Falafel und Tahin-Topping.
Fällt dabei etwas auf? Avocado, Sesammus, Kichererbsenpüree und Kokosmilch sind garantiert keine Schlankmacher. Erdnusscreme, Mandelmus und Cashewnüsse zählen ebenfalls zu den beliebten Zutaten veganer Gerichte. Zwar enthalten sie fast alle wertvolle, ungesättigte Fettsäuren und gelten daher als gesund, sind aber dennoch reich an Kalorien. Auf die Menge kommt es also an.
Hier noch mal ein genauer Blick auf die Details: Eine Avocado, das Grundnahrungsmittel vieler Veganer, enthält circa 400 Kalorien und 15 Prozent Fett. Nussmus ist ein super Topping im Müsli oder auf Hauptgerichten. Mandel-, Erdnuss- oder Cashewmus enthält ungefähr 50 Prozent Fett, was bei 100 Gramm etwa 600 Kalorien ausmachen würde. Tahin, eine Paste aus feingemahlenen Sesamkörnern, die ich ebenfalls gerne und oft verwende, reiht sich hier ungefähr mit ein. Kokosmilch liegt mit rund 20 Gramm Fett knapp unter der Hälfte und hat somit fast den gleichen Fettgehalt wie Schlagsahne. Und zuletzt Hummus, mein schneller Retter für jedes Abendbrot, bringt 10 Prozent Fett und circa 160 Kalorien pro 100 Gramm aufs Papier.
In seinem Buch "Vegan ist Unsinn. Populäre Argumente gegen den Veganismus und wie man sie entkräftet" widmet Ernährungswissenschaftler und Vegan-Experte Niko Rittenau ein ganzes Kapitel dem Argument "Veganismus fördert Essstörungen". Anscheinend gehen die Vorurteile noch weiter, Veganismus führe nicht nur zu abgemagerten Körpern sondern fördere auch noch ein Krankheitsbild. Dies widerlegt er anhand wissenschaftlicher Publikationen. Zudem klärt er auf, dass nicht die vegane Ernährungsweise Menschen in die Essstörung treibe, sondern Menschen mit Essstörungen dazu neigen, sich für eine vegane oder vegetarische Ernährung (aus den falschen Gründen) zu interessieren.
Und wie sieht es mit dem Vorwurf aus, vegane Menschen beschäftigten sich übertrieben mit gesunder Ernährung? Ein klares Nein. Ja, als Veganer widmet man seiner Essensauswahl möglicherweise mehr Aufmerksamkeit. Die Gründe sind jedoch, dass es Zeit kostet, bewusst nicht-tierische Lebensmittel sowie schmackhafte Rezepte auszuwählen und zu besorgen. Ob jemand nun gesund-vegan oder ungesund-vegan lebt, liegt an dem Menschen selbst. Der Ursprungsgedanke des Veganismus ist definitiv eine "tierethisch motivierte soziale Gerechtigkeitsbewegung", wie Niko Rittenau es beschreibt. Und nicht die, gesünder zu leben. Und um zum Anfang zurückkehren: "Veganismus ist keine Diät, sondern eine Lebenseinstellung, die sich in erster Linie auf Tierschutz beziehungsweise Tierrechte bezieht", bringt Rittenau es auf den Punkt. Dem kann ich nur zustimmen!