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Nach Angriff von Jan Ullrich 2018: Sexarbeiterin beantwortet Fragen zu Gewalt und Prostitution

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Nach dem Fall Jan Ullrich: 7 Fragen zu Gewalt und Vorurteilen an eine Sexarbeiterin

17.08.2018, 09:2111.06.2024, 11:31
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Gerade erst geht mit dem mutmaßlichen Angriff des ehemaligen Radsportlers Jan Ullrich auf eine Escortlady wieder ein prominenter Fall durch die Medien, der Sexarbeit und Gewalt in den Fokus rückt. Sind gewalttätige Übergriffe ein Berufsrisiko, mit dem Prostituierte ständig rechnen müssen?
Charlie Hansen:
Ich kann aus eigener Erfahrung sprechen und von einigen Kolleginnen berichten, dass wir selten physischer Gewalt durch Freier ausgesetzt sind. Viele Menschen mögen Übergriffe und Sexarbeit in eine Schublade stecken, das ist aber keinesfalls die Regel. Es kommt viel seltener zu Vorfällen als viele denken. Wenn wir Gewalt erfahren, dann häufiger von Leuten, die nicht unsere Kunden sind.

Charlie Hansen
... ist
Generalsekretärin beim Bundesverband erotische und sexuelle Dienstleistungen.

Von wem dann?
Hansen:
Uns im Verband fällt auf, dass viele Kolleginnen vermehrt dort Gewalt ausgesetzt sind, wo Straßenprostitution öffentlich sichtbar stattfindet. Am Kurfürstenkiez in Berlin zum Beispiel werden viele beschimpft und angegriffen, vor allem richten sich die Aggressionen gegen transsexuelle Sexarbeiterinnen. Aber nicht die Kunden attackieren sie, sondern Passanten oder Menschen in vorbeifahrenden Autos.

Eine Huren- und Transphobie kommt dort zum Vorschein.

Würden Sie sagen, dass das Problem im öffentlichen Ansehen von Prostituierten liegt?
Hansen: Unser Beruf ist stark stigmatisiert und die Vorurteile machen uns angreifbarer. Sexarbeiterinnen gelten in den Augen vieler per se als Opfer ihres Berufs. Viele denken, wir seien sowieso nicht selbstbestimmt. Diese Sichtweise begünstigt Angriffe.

Es ist schließlich leichter, einem Menschen Gewalt anzutun, den man eh als Opfer sieht.

Spüren Sie diese Vorurteile auch in anderen Situationen?
Hansen: Ja, aber in anderer Form. Stellen Sie sich vor, Sie hatten einen schlechten Tag auf der Arbeit, ein Kollege hat Sie genervt oder Ihre Grenzen nicht respektiert. Sie gehen nach Hause und sprechen wahrscheinlich mit Ihrem Partner oder Ihren Freunden darüber und verarbeiten so die Situation.

Prostitution auf der Straße. Sexarbeiterin hat Kontakt mit einem möglichen Kunden.
Bild: E+

Wenn ich meiner Nachbarin erzähle: Ach, vorgestern hatte ich einen Typen, der war unmöglich. Hat ständig nach Dingen gefragt, die ich nicht machen wollte und immer wieder musste ich ihm Grenzen aufzeigen. Dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass sie mich fragt: Was machst du auch diesen Job? Als dürfte ich mich als Sexarbeiterin nicht beschweren! Das würde man eine Versicherungsangestellte nicht fragen, oder?

Ein anderes Beispiel: Ich habe Kolleginnen, die gern psychologische Hilfe in Anspruch nehmen würden – aus verschiedenen Gründen, die nicht einmal etwas mit ihrem Beruf zu tun haben müssen. Doch selbst in psychologischen Praxen ist unser Berufsbild teils mit Vorurteilen belastet. Sobald wir über unseren Beruf reden, wird das pathologisiert und nicht respektiert.

Welche Folgen hat das?
Hansen: Man redet nicht mehr darüber, macht vieles mit sich selbst aus. Oder schlimmer: Einige Kolleginnen zeigen beispielsweise Vergewaltigungen nicht an, weil sie befürchten müssen, von Polizisten nicht ernst genommen zu werden.

Ich glaube, es ist ohnehin für jede Frau schwierig, so ein Erlebnis anzuzeigen.

Es ist demütigend zur Polizei zu gehen und zu erzählen, was passiert ist, nochmal alles zu durchleben und dann zu befürchten, dass der Typ vielleicht nie geschnappt wird. Wenn man aber als Hure auf der Wache auftaucht und Missbrauch auf der Arbeit anzeigen will, stehen auch heute noch Beamte vor einem, die tatsächlich meinen, es sei nicht möglich, als Sexarbeiterin vergewaltigt zu werden. Solche Meinungen und Vorurteile in der Gesellschaft führen dann dazu, dass Kolleginnen sich gleich gegen eine Anzeige entscheiden.

Es gibt seit vergangenem Jahr das Prostituiertenschutzgesetz, das unter anderem Sexarbeiterinnen schützt.
Hansen: Vermeintlich! Dort stehen viele Auflagen und Regulierungen drin, aber was ist mit unseren Rechten? Welche Rechte haben zum Beispiel Opfer von Ausbeutung und Menschenhandel?

Dieses Gesetz erreicht in weiten Teilen eher das Gegenteil von Schutz.

Viele migrantische Kolleginnen etwa können sich nicht anmelden – wie vom Gesetz vorgesehen – weil sie keine Arbeitserlaubnis haben. Sie müssen aber weiterarbeiten, also machen sie das unterm Radar und ihre Situation wird noch illegaler als vorher – und gefährlicher. Das verkehrt die Situation für viele Schutzbedürftige ins Gegenteil.

Andere arbeiten jetzt illegal, weil sie sich nicht anmelden möchten: Sie haben Angst vor einem Outing. Viele arbeiten unter Pseudonym und fürchten, dass ihr Klarname rauskommt, wenn sie sich behördlich registrieren. Und dass dann die Nachbarn Bescheid wissen, vielleicht auch die Eltern. Sie wählen lieber den illegalen Weg, melden sich nicht an, arbeiten ohne Bescheinigung.

Das wiederum erhöht die Gefahr, erpressbar zu sein.

Was müsste passieren, um die Situation für Sexarbeiterinnen zu verbessern?
Hansen: Der Beruf muss entkriminalisiert werden, da gibt es in Deutschland noch Nachholbedarf. Nehmen wir als Beispiel die Sperrbezirke, also Bereiche, in denen die Arbeit verboten ist. Sexarbeiterinnen, die dort arbeiten und angegriffen werden, zeigen die Täter oft nicht an, weil sie ja illegal an dieser Straße standen. Sie müssten sich in dem Moment selbst anzeigen. Solche Regeln führen dazu, dass Sexarbeiterinnen ihre Rechte nicht durchsetzen können.

Und wir sollten noch viel mehr über das eigentliche Problem sprechen: Die grundsätzliche Gewaltbereitschaft gegenüber Frauen, nicht nur in unserer Branche. Das fängt in der Gastronomie an und zieht sich bis nach Hollywood, denken wir nur an Me Too.

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