Das Rückenmark ist die Daten-Autobahn unseres Körpers, wenn man so will. Alle Befehle, die unser Gehirn an den Körper sendet, laufen über ein dickes Nervenkabel durch unsere Wirbelsäule. Zwischen den einzelnen Wirbeln zweigen sich wie Ausfahrten, die zu Haptstraßen werden, einzelne Nerven ab, die in verschiedene Regionen des Körpers münden und sich dort weiter verzweigen. So erreichen die Informationen aus dem Gehirn auch den hintersten Winkel unseres Körpers.
Wird das Rückenmark verletzt, etwa durch einen Unfall, kann das Gehirn verschiedene Körperfunktionen nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr steuern. Vom einen auf den anderen Tag kann man dann zum Beispiel nicht mehr gehen. Über lange Zeit war so eine Querschnittslähmung eine recht endgültige Sache. Seit einigen Jahren aber geben sich Mediziner damit nicht mehr zufrieden und arbeiten an Wegen, um Gelähmten wieder auf die Beine zu helfen. Und Forschern aus der Schweiz ist in diesem Zusammenhang etwas erstaunliches gelungen.
Neurowissenschaftler vom École Polytechnique Fédérale de Lausanne stimulierten Nervenzellen, die für die Beinbewegung verantwortlich sind, im Rückenmark gelähmter Männer. Damit waren sie nicht die ersten. Das haben auch vor ihnen schon Wissenschaftler gemacht.
Was sie aber anders machten: Die elektrischen Reize, die sich von außen zusetzten, stimmten mit den Signalen aus dem Gehirn überein. Das heißt: Wenn ein Proband seinen rechten Fuß bewusst nach vorn setzen wollte, bewegte der sich tatsächlich nach vorn, mit Hilfe der Stimulation.
Das Tolle: Das hielt nicht nur für den Moment. Mithilfe der Elektrostimulation und intensiven Lauftrainings, konnten die drei Probanden ihre Beine nach einer Weile auch ohne Elektrostimulation wieder bewegen. Sie waren in der Lage, kleine Distanzen im Labor eigenständig zu gehen, zwei von ihnen konnten mit einer Gehhilfe sogar draußen spazieren gehen. Das verletzte Gewebe erholte sich also in Teilen und war wieder in der Lage, Signale weiterzuleiten
Leider sind die Erkenntnisse dieser Studie nur an drei Männern getestet worden. Bei jedem der Männer ist die Therapie unterschiedlich gut angeschlagen. Einer war zum Beispiel auch vor der Therapie nicht komplett bewegungsunfähig - bei ihm hat die Stimulation bessere Effekte erzielt als bei den anderen. Abgesehen davon, dass diese Methode gerade erst am Menschen getestet wurde - es ist eher unwahrscheinlich, dass sie jemals als Allround-Therapie für Querschnittsgelähmte geeignet sein wird.
Das Nervensystem ist sehr komplex. Verletzungen am Rückenmark folgen keinem Muster, jede ist individuell. Die drei Männer, denen diese Therapie zum Gehen verholfen hat, hatten großes Glück. Folgende Haken hat die Studie noch:
Sie zeigt einen wichtigen Unterschied zu früheren Versuchen auf: Zuvor glaubte man, dass sich Bewegungen nur mit Hilfe von Stimulation wieder ausführen lassen. Das Team aus Lausanne zeigt, dass sich die Nerven so erholen können, dass Querschnittsgelähmte auch ohne Stimulation ihre Beine bewegen können.
Rainer Abel, Chefarzt der Klinik für Orthopädie und Querschnittsgelähmte in Bayreuth, sieht in der Methode auch Möglichkeiten für andere Krankheiten: "Wichtig wäre es sicherlich auch die Möglichkeiten dieser Behandlung für die Therapie von Spastik zu erproben", sagt er.
Dass Gelähmte wieder ganz normal herumlaufen können, bleibt unwahrscheinlich. Aber immerhin könnte die Methode eines Tages andere Therapieformen für Querschnittsgelähmte ergänzen und verbessern.