Wer Alexander Thömmes erreichen will, muss früh aufstehen. Es ist 6 Uhr in der Früh, draußen ist es noch stockdunkel, als die Skype-Verbindung mit Thömmes dann endlich mal steht.
Der 29-jährige Materialwissenschaftsstudent lebt nun seit fünf Jahren im eisigkalten Nowosibirsk in Russland. Nowosibirsk, das ist Sibirien. 1,4 Millionen Menschen leben dort – und zwar bei dann doch eher ungemütlichen Bedingungen.
"Gerade geht es, Minus 15 Grad ist für uns hier noch kein Grund zum Klagen", meint Thömmes. Bei ihm ist es bereits Mittagszeit. Im Winter machen die Russen die Schotten dicht, meint er. Abends seien die Straßen wie ausgestorben. Nur der Schnee fällt noch hin und wieder. Und natürlich der fiese Wind, der unnachgiebig gegen die Häuser der Arbeiterstadt peitscht.
Die Winter in Nowosibirsk sind lang, kalt – und vor allem dunkel. Vielleicht war es auch deshalb so leicht, Thömmes für ein Gespräch zu bekommen. Der Student erzählt: "Hier leben vielleicht 20 bis 50 Deutsche, doch die meisten sind nur für ein Studium hier." Es ist ein kleiner eingeschworener Kreis, der sich regelmäßig zum Stammtisch trifft und die lokale Brauerei-Szene erforscht.
Bis zu zweimal die Woche skypt Thömmes mit den Eltern – von den Freunden aus der Kleinstadt bei Trier hört er wenig. Über WhatsApp, da geht natürlich noch einiges. Aber telefonieren? Gar nicht so einfach bei dem Zeitunterschied von sechs Stunden. Die Spiele seines Lieblingsklubs, dem FC Bayern München, hat Thömmes längst aus den Augen verloren.
2012 nahm Thömmes an einem Austauschprogramm seiner Uni mit der russischen Hochschule in Nowosibirsk teil – und war begeistert von der Stadt östlich des Uralgebirges.
"Wenn's dir gefällt, mach es einfach." Das haben Thömmes' Eltern ihm mitgegeben, als er ihnen von seinem Wunsch, nach Sibirien für sein Studium zu ziehen, erzählte. "Hier geht man viele Sache ganz anders ran."
"Laut niesen oder öffentlich die Nase putzen, das ist hier sehr unhöflich." Das durfte Thömmes einmal in der Metro erfahren: "Ich hab mich die ganze Zeit gefragt, warum mich alle in der Bahn so entgeistert angeschaut haben." Herzlich seien sie aber, die Russen. Und große Fans von den Deutschen.
Thömmes: "Mir erzählt hier jeder Taxifahrer von seinen persönlichen Erfahrungen mit Deutschland." Es ist wohl ein Glück, in Nowosibirsk einer der wenigen Deutschen zu sein. Mit Asiaten haben die Russen so ihre Probleme, Ressentiments gäbe es viele. Sagt Thömmes.
Aber beim Wetter sind sich in Nowosibirsk alle einig: Geht es auf die Minus 20 zu, werden schnell die Pelzmäntel rausgekramt: "Im Gegensatz zu den Deutschen wissen die Russen halt, dass es Winter ist."
Thömmes hat den sibirischen Pragmatismus längst verinnerlicht: "Klar, bei Minus 30 Grad wird's dann schon kalt. Und dann frag ich mich auch: Muss ich heute wirklich nochmal in den Supermarkt?" Bis zu 5 Kilo wiegen seine Winterklamotten – ein Kältepaket, das er Tag für Tag schleppen muss.
Man müsse es halt mögen, die sibirische Kälte und die langen dunklen Nächte, meint Thömmes. Und beginnt dann auch schon von der Natur der sibirischen Landschaften zu schwärmen: "Gerade haben wir einen ganz wunderbaren Sonnenschein – so etwas bekommt man in Deutschland gar nicht." Ganz in der Nähe gäbe es einen Stausee, doppelt so groß wie der Bodensee.
Ein absoluter Wintertraum, dort über die gefrorene Eisfläche zu spazieren. Seine Frau kommt dann immer mit. Elina hat Thömmes hier während seines Studiums kennengelernt. Die Russin ist sicher auch ein Grund, warum Thömmes nicht in den Hunsrück, wo seine Familie wohnt, zurück will.
Der Student meint: "Sicher könnten wir uns vorstellen, irgendwann nach Deutschland zurückzuziehen. Aber ganz ehrlich? Eigentlich haben wir hier doch alles, was man braucht."