Ben (Name geändert) ist 23 Jahre alt und im dritten Jahr
seiner Ausbildung in der Pflege. Im Monat hat er 1150 Euro netto zur
Verfügung, die sich aus 680 Euro Ausbildungsgeld (Brutto: 862 Euro) und 470 Euro von seinen Eltern
zusammensetzen. Außerdem arbeitet er zwei bis drei Mal im Monat im Nebenjob als Veranstalter.
Dafür bekommt er im Schnitt noch einmal 200 Euro, die er spart. Ohne Unterstützung seiner Eltern, hätte er nur 680 Euro netto im Monat zur Verfügung.
Wie viel oder wenig jemand in einer Ausbildung verdient, kann sehr unterschiedlich ausfallen:
Die Höhe der Ausbildungsvergütung hängt davon ab, in welchem Beruf, in welcher Branche, in welchem Bundesland (im Westen Deutschlands gibt es immer noch mehr Geld als im Osten) die Ausbildung stattfindet und welches Geschlecht man hat (Frauen verdienen im Schnitt 2,8 Prozent weniger als Männer).
Außerdem steigt die Vergütung oft in jedem Lehrjahr, sodass es im dritten Jahr mehr Geld gibt als im ersten. Auch im selben Beruf kann das Gehalt ungleich ausfallen. Viele Branchen haben tarifliche Regelungen. Das bedeutet, dass Arbeitgeber und Gewerkschaften vereinbart haben, wie viel Auszubildende verdienen. Nicht alle Betriebe halten sich aber daran.
In manchen Branchen gibt es außerdem grundsätzlcih keine tariflichen Regelungen. Dann orientiert sich der Ausbildungsbetrieb bei der Bezahlung an ähnlich strukturierten Betrieben und Branchen oder er zahlt eine Durchschnittsvergütung. Grundsätzlich gilt: Wer eine Ausbildung in einem nicht tarifgebundenen Betrieb macht, darf nach gängiger Rechtssprechung höchstens 20 Prozent weniger bekommen als andere Azubis in derselben Branche und Region im Schnitt verdienen.
Eigentlich müsste ich mich als arm bezeichnen, das Geld ist
knapp, ich bin aber zufrieden mit dem, was ich habe. Ich habe ein gutes
Netzwerk, das mir ermöglicht, am Wochenende umsonst auf Veranstaltungen zu
gehen. Ich muss aber immer auf mein Geld achten und kann es nicht achtlos
ausgeben.
Wie leben Auszubildende mit so wenig Geld?
Der Mindestlohn gilt nicht für Azubis, weil diese sich nicht in einem Arbeits-, sondern sich in einem Bildungsverhältnis befinden. Auszubildende haben aber Anspruch auf finanzielle Hilfe wie Kindergeld, Wohngeld und Miethilfe, BAföG und Berufsausbildungsbeihilfe (BAB). Außerdem können sie nach Absprache mit ihrem Arbeitgeber einen Nebenjob ausüben, in dem sie monatlich maximal 450 Euro verdienen dürfen.
Wieso wechselst du
nicht den Ausbildungsbetrieb?
Ich habe damals nach der Schule ein FSJ dort gemacht, danach haben sie mir angeboten, dort die Ausbildung zu machen. Ich wollte
gar nicht Pfleger werden, sondern habe die Ausbildung nur gemacht, um Medizin zu
studieren. Dafür habe ich in Kauf genommen, drei Jahre lang etwas weniger zu
verdienen.
Mir war aber nicht klar, dass ich mit diesem Geld so wenig machen kann.
Ben
Da war ich aber auch noch jung und naiv.
Wie sähe dein Leben
ohne Unterstützung deiner Familie aus?
Dann würde ich wahrscheinlich nur arbeiten und nie etwas
unternehmen können. Natürlich kann man ohne familiäre oder staatliche
Unterstützung eine Ausbildung machen, aber nur mit sehr geringer
Lebensqualität.
Ich achte immer auf mein Geld. Manchmal, wenn ich ein paar
Tage nicht aufs Konto geschaut habe und ein paar Ausgaben hatte, verliere ich
trotzdem kurz den Überblick. Dann kann es passieren, dass ich mich schneller
der Null annähere als geplant und ich zum Monatsende hin genau überlegen muss,
was ich mir noch leisten kann.
Das ist unsere Serie "Unter 1000 Euro"
Die allein erziehende Mutter, der junge Künstler und der Rentner, der sich mit Gelegenheitsjobs durchschlägt: Auf den ersten Blick haben sie nichts gemeinsam. Doch sie alle sind von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht, genauso wie jeder Fünfte in Deutschland. watson trifft regelmäßig Menschen, die mit weniger als 1000 Euro netto im Monat auskommen müssen.
Wie lange dauert es
bis das Geld knapp wird?
Ungefähr drei Wochen. Dann verzichte ich bis zum
nächsten Lohn auf Freizeitaktivitäten wie essen gehen, bleibe zu Hause und
mache nichts.
Ich war gerade im Urlaub in Spanien. Das ging aber nur, weil
ich da umsonst bei Freunden wohnen konnte. Für den Flug habe ich 120 Euro
gezahlt, ich habe extra früh gebucht. Für Essen und anderes sind dann nochmal
300 Euro weggegangen. Sowas kann ich mir aber wirklich nicht oft leisten.
Und worauf
verzichtest du?
"In letzter Zeit habe ich wenig Lebensmittel eingekauft und hauptsächlich von Kartoffeln gelebt."
Ben
Ich verzichte also auf gutes und
regelmäßiges Essen. Da fällt öfter mal ein Abendbrot weg, weil ich das Geld nicht
habe. Das klingt heftig, ist aber meine Art zu sparen.
Wer ist arm in Deutschland?
16,1 Millionen Menschen, also jeder fünfte Deutsche, war im Jahr 2015 von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht.
Ein Mensch gilt als von Armut bedroht, wenn mindestens eine der folgenden drei Lebenssituationen zutrifft: (Quelle: Leben in Europa EU-SILC).
1. Das Einkommen liegt unter der Armutsgefährdungsgrenze. 2015 lag dieser Schwellenwert für eine alleinlebende Person in Deutschland bei 1033 Euro, für zwei Erwachsene mit zwei Kindern unter 14 Jahren bei 2170 Euro im Monat.
2. Der Haushalt ist von erheblicher materieller Entbehrung betroffen. Das bedeutet, dass jemand zum Beispiel nicht in der Lage war, Rechnungen für Miete, Hypotheken oder Versorgungsleistungen zu bezahlen, die Wohnungen angemessen zu beheizen oder eine einwöchige Urlaubsreise zu finanzieren.
3. Der Mensch lebt in einem Haushalt mit sehr geringer Erwerbsbeteiligung.
Im Durchschnitt
verdienen Auszubildende in Deutschland 876 Euro monatlich, du bekommst im
dritten Ausbildungsjahr nur 862 Euro brutto. Ist das zu wenig?
Ja, ich finde schon. Im ersten Jahr habe ich sogar nur 732 Euro brutto bekommen, im zweiten 781 Euro. Normalerweise bezahlen die Kliniken die Auszubildenden
nach Tarif, das sind zwischen 900 und 1000 Euro brutto. Bei mir ist das nicht
so. Woran
das liegt weiß ich nicht, aber ich habe das Gefühl ausgebeutet zu werden.
Berufe in der Pflege sind bei Auszubildenden nicht besonders beliebt. Warum?
"Wir Auszubildende müssen den Pflegenotstand in Deutschland ausbaden."
Ben
Wir werden oft am Wochenende oder an freien Tagen angerufen und
gefragt, ob wir einspringen können. Auf einer normalen Station sollen 20 Menschen von zwei Pflegern betreut werden. Steht nur
einer zur Verfügung, wird noch ein Schüler dazu genommen. Der muss dann
Aufgaben übernehmen, die er noch nicht gelernt hat und gefährdet den Patienten
und sich selbst. Wir machen dann oft unbezahlte Überstunden und tun Dinge, die
eigentlich illegal sind.
Was heißt Pflegenotstand?
In der Alten- und Krankenpflege in Deutschland sind rund 35.000 Stellen nicht besetzt – davon 23.319 in der Altenpflege. Das geht aus einer Antwort des Bundesgesundheitsministeriums auf eine Anfrage der Grünen hervor.
Demnach waren 2017 im Schnitt 14.785 offene Stellen für Fachkräfte in der Pflege alter Menschen gemeldet. Zudem wurden 8443 Helfer gesucht. In der Krankenpflege fehlten 10.814 Fachkräfte und 1413 Helfer.
Schon vor sechs Jahren hatte die Bertelsmann-Stiftung eine Personallücke von 500.000 Vollzeitstellen in der Altenpflege bis 2030 vorhergesagt. Auch im Krankenhausbereich ist seit Jahren von einem zunehmenden Pflegenotstand die Rede.
Im Koalitionsvertrag wurde ein "Sofortprogramm" für 8000 neue Fachkräftestellen in der Altenpflege vereinbart.
dpa
Was müsste sich in
Deutschland deiner Meinung nach ändern, um deine Situation zu verbessern?
Die tariflichen Regelungen müssten weiter greifen, dass alle
Ausbilder sie anwenden müssen. Außerdem
handeln private Einrichtungen natürlich nach eigenen wirtschaftlichen Interessen
und dabei kommen Schüler schlecht weg. Meine
Klinik verheizt die Schüler geradezu. Es wäre schön, wenn das nicht so
wäre.
Außerdem sollten auch ältere Menschen, die die Pflege ja in Anspruch nehmen (werden) auf die Straße gehen und gegen die Zustände demonstrieren.
Jeder fünfte Deutsche ist von Armut bedroht. Darüber müssen wir sprechen. Würdest auch du dich als arm bezeichnen und möchtest mit uns - gerne anonym - darüber sprechen? Dann schreib uns an redaktion@watson.de.
Baumarkt Obi bringt Kunden mit Weihnachtsclip zum Weinen
Die Weihnachtszeit ist für viele eine nostalgische, sentimentale, gefühlvolle Zeit. Die Familie kommt zusammen, man reist in die Heimat, sieht Freund:innen, die man ewig nicht gesehen hat. Man führt altbekannte Traditionen zusammen durch, schmückt das Haus und den Tannenbaum, backt Plätzchen und bereitet das Weihnachtsessen vor.