Dortmund ist nach dem 3:2-Sieg über die Bayern an der Tabellenspitze davongeeilt. Satte sieben Punkte liegen die Borussen bereits vor dem Titelverteidiger, der momentan nur auf Rang 5 in der Bundesliga steht. Das ist kein Zufall: BVB-Trainer Lucien Favre trifft die besseren Entscheidungen als FCB-Coach Niko Kovac.
Während die Bayern-Einwechslungen nur für Schlagzeilen sorgen, wenn Ehefrauen Instagram-Posts dazu absetzten, sorgen beim BVB die Joker mit ihren Leistungen für Aufsehen.
Was auch immer für Worte Lucien Favre für seine Einwechselspieler findet, sie müssen magisch sein.
Denn die Einwechselspieler, die Favre aufs Feld schickt, brennen auf ihre Einsätze. Statt zu schmollen, weil sie erst auf der Bank Platz nehmen mussten, zeigen sie dem Trainer, dass sie in die Startelf gehört hätten. Das beweist auch die Statistik der Tore und Assists durch Joker: In Bundesliga und Champions League hat Lucien Favres goldenes Händchen bisher zu 24 Scorerpunkten geführt. Bei Niko Kovac sind es bloß 2.
Die wohl größte Stärke von Lucien Favre ist es, junge Spieler weiterzubringen. Das war schon bei seinen vorherigen fünf Stationen so.
In Dortmund hat Favre mit Zagadou, Hakimi, Sancho, Larsen und Pulisic diese Saison bereits wieder fünf Spieler integriert, die noch nicht älter als 20 Jahre sind. Sie sind keine Mitläufer, sondern bereits Leistungsträger.
Bei den Bayern hat Niko Kovac nicht so viele Möglichkeiten mit jungen Spielern. In München muss die Mannschaft schließlich funktionieren, dort gibt es keine Anpassungszeit für Fehler, die wegen Unerfahrenheit passieren. Deshalb ist Renato Sanches mit seinen 21 Jahren der jüngste Spieler, der bisher regelmäßig eingesetzt wurde – was aber eher ein Fehler der Kaderplanung als der von Kovac ist.
Dass Niko Kovac gegen Dortmund allerdings den kranken Mats Hummels (29) statt des gesunden Niklas Süle (23) spielen ließ, zeigt, dass Kovac in wichtigen Spielen den Jüngeren dann doch nicht ganz vertraut.
Lucien Favre hat sich gegen die Bayern verzockt. Zumindest in der ersten Halbzeit ging seine Idee mit Julian Weigl auf der Sechser-Position überhaupt nicht auf. Kovac stellte die Bayern hervorragend ein und die Münchner führten dank der besten Halbzeit der Saison verdient. Favre 0, Kovac 1.
In der Halbzeit stellte Favre um, brachte Dahoud für Weigl und korrigierte damit, was in der ersten Halbzeit nicht wunschgemäß funktionierte.
Nach einer Stunde brachte Favre zudem Paco Alcacer für Mario Götze. Eine echte Neun für eine falsche Neun – eine Maßnahme, die sofort wirkte. Dortmund spielte die Bayern plötzlich an die Wand, hatte Großchancen im Minutentakt und drehte die Partie schließlich innerhalb von sieben Minuten. Der Matchplan von Kovac ging in der zweiten Halbzeit nicht mehr auf.
Die Bayern hingegen versuchten mit der Führung im Rücken, ihr zuvor vom Ballbesitz geprägtes, dominantes Spiel anzupassen und auf Konter zu setzten – was aber überhaupt nicht funktionierte, weil die Abstände zwischen den Mannschaftsteilen viel zu groß waren und Dortmund dadurch Räume im Halbfeld erhielt, welche sie auszunutzen wussten. Favre 3, Kovac 2.
Der BVB hat neben der spielerischen Qualität auch eine mentale Stärke, die nicht zu unterschätzen ist. In der Bundesliga haben die Dortmunder gegen Leipzig, Leverkusen, Augsburg und nun gegen die Bayern einen Rückstand noch gedreht. In Hoffenheim reichte es immerhin noch zu einem Remis.
Dortmund-Ausbeute nach Rückständen: 13 von 15 möglichen Punkten.
Die Bayern gerieten in dieser Bundesliga-Saison bisher vier Mal in Rückstand. Gegen Leverkusen konnten sie das Spiel noch drehen, gegen Hertha, Gladbach und Dortmund waren die Münchner nach dem Rückstand zu keiner Reaktion fähig, erzielten kein Tor mehr und verloren die Partien.
Bayern-Ausbeute nach Rückständen: 3 von 12 möglichen Punkten.
Die Moral einer Mannschaft hängt stark mit der Führungsqualität des Trainers zusammen. Hier hat Favre bewiesen, dass die Mannschaft unter ihm funktioniert. Dass er nicht nur taktisch, sondern auch zwischenmenschlich ein guter Trainer ist. Kovac hat in München einen schweren Stand. Immer wieder gehen sogar Gerüchte um, dass sich einige Spieler gegen ihn auflehnen.
Der 29-Jährige Marco Reus, der schon in Gladbach unter Favre spielte, blüht in seiner neuen Funktion als Kapitän auf.
Reus ist in seiner aktuellen Topform einer der besten Spieler der Welt. Er ist derzeit wohl der einzige Spieler aus der Bundesliga, von dem man sowas sagen kann. Logisch steht und fällt das BVB-Spiel auch mit seiner Leistung.
Dass Reus derzeit so konstant und stark spielt, hängt neben der Tatsache, dass er endlich über längere Zeit verletzungsfrei geblieben ist, auch mit der Position zusammen: Favre lässt Reus meist auf dessen Lieblingsposition hinter den Spitzen agieren. Der Schweizer Trainer holt damit das absolute Maximum aus seinen Schlüsselspieler raus. Und Reus dankt das Vertrauen mit überragenden Leistungen.
Auch Paco Alcacer, der als Neuzugang voll eingeschlagen hat, schwärmt vom Vertrauen, welches in ihn gesetzt wird – auch wenn er oft nur eingewechselt wird.
In einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" erklärte Alcacer: "Die Borussia hat mir geholfen, wieder der zu sein, der ich war. Dass ich nun im Trikot des BVB treffe, ist aus vielen Gründen schön. Vor allem aber, weil sie dort auf mich gesetzt haben."
Bei den Bayern hingegen scheinen viele der Spieler verunsichert. Bin ich Stammspieler, werde ich wirklich gebraucht? Neuer, Kimmich, Lewandowski und Alaba sind gesetzt, die anderen Spielen rotieren regelmäßig. Grundsätzlich, vor allem wegen der Doppelbelastung, eine gute Sache. Doch wenn die Mannschaft kriselt und das Selbstvertrauen weg ist, kann die Rotation schnell negative Auswirkungen haben. Viele Bayern-Spielern wissen nicht so recht, woran sie bei Niko Kovac sind.