Der Profi-Fußball hat neben dem Platz eigentlich keine Märchen mehr. Besonders nicht in Zeiten von Nachwuchsleistungszentren, autorisierten Interviews und diamantbesetzten Freizeitoutfits. In Hannover gibt es jetzt doch noch eine Cinderella Story. Protagonist: Hendrik Weydandt. Der einstige Kreisligastürmer hat bei Hannover 96 einen Profivertrag bis 2020 unterschrieben. Und ist in aller Munde.
Irgendwann wurden Weydandt die Fragen nach seinem märchenhaften Aufstieg zum Fußballprofi und die entsprechenden Titulierungen ein bisschen zu viel. "'Henne' reicht", sagte der Hoffnungsträger von Hannover 96 kurz und knapp auf die Frage, wie er denn nun genannt werden wolle.
Das oftmals übertriebene Gehabe um die hochbezahlten Kickerstars will Weydandt auf keinen Fall an sich heranlassen, den entsprechenden Rummel ebenfalls nicht: "Es gibt immer noch vieles, dass sich nicht ändern soll und auch nicht ändern darf." Die Dreier-WG mit den alten Kumpels beispielsweise und das BWL-Studium, bei dem Weydandt noch an der Bachelor-Arbeit strickt, Abgabetermin Ende September. Möglicherweise soll der Master noch folgen. "Es ist natürlich alles zeitintensiver jetzt."
Zwei Kurzeinsätze, drei Schüsse, drei Tore – spektakulärer konnte die Profikarriere des 23-jährigen Senkrechtstarters indes kaum beginnen. Noch vor vier Jahren kickte Weydandt in der Kreisliga Hannover-Land beim TSV Groß Munzel. Er fieberte mit seinem Herzensclub 96 auf dem Sofa oder im Stadion mit. Das erste Spiel als kleiner Junge sah er noch im alten Niedersachsenstadion.
Erst im Juli wechselte er aus der Regionalliga zur U23 von Hannover 96 und bot sich durch gute Trainingsleistungen bei den Profis bei 96-Coach Andre Breitenreiter an. In vier Jahren aus der Kreisliga zum Bundesliga-Stürmer. "Es ist schwierig zu greifen", sagt Weydandt. Und auch: "Es war wie ein Rausch."
Seine Joker-Qualitäten sind aktuell herausragend: Für seine drei Treffer gegen den Karlsruher SC und Werder Bremen brauchte der 1.95-m-Hüne gerade einmal 23 Spielminuten.
"Er hat sich durch Fleiß seinen aktuellen Status erarbeitet – deshalb ist das vielleicht auch kein Zufall", formulierte Breitenreiter, 96-Präsident Martin Kind ergänzte: "Ein Stürmer wird an Toren gemessen – und die schießt er. Er ist sehr sympathisch, aber auch sehr selbstbewusst."
Und vertraute daher die Verhandlungen über den neuen Profivertrag nicht etwa einem der zahlreichen Berater der Szene an, sondern seinem Vater, einem Steuerfachmann. Am Montagabend kam eine Einigung mit dem Verein in Person von Manager Horst Heldt zustande. Ein Kontrakt bis 2020, mit dem Weydandt "so richtig als Profi anfangen" kann.
Weydandt wäre nicht der erste Spätzünder, der sich in der Bundesliga durchsetzt, ohne je in einer regionalen Jugendauswahl gestanden oder ein Nachwuchsleistungszentrum besucht zu haben. Der spätere Weltmeister Miroslav Klose beispielsweise trug noch mit 19 Jahren in der Bezirksliga das Trikot der SG Blaubach-Diedelkopf, ehe er beim 1. FC Kaiserslautern durchstartete.
Doch am Rekord-Torschützen bei WM-Endrunden will sich der bodenständige Neuprofi nicht messen lassen: "Das ist ein netter Vergleich, aber auch viel zu hoch gegriffen."
Gemein ist Klose und Weydandt dennoch, dass sie mit ihrem Karriereweg absolute Ausnahmen sind. Dass Talente jahrelang durch alle Raster fallen und nirgendwo gescoutet werden, passiert immer seltener. Und das weiß natürlich auch Heldt: "Diese Geschichte ist ein Fußball-Märchen, wie es im heutigen Profifußball nur noch ganz selten vorkommt."
Und Weydandt zahlt seinen Ex-Clubs auch etwas zurück (wenn auch nicht selbst). Die können sich nämlich über einen unerwarteten Geldsegen freuen. Kreisligist Groß Munzel stehen rund 60.000 Euro an Ausbildungsentschädigung zu, immerhin mit gut 20.000 Euro darf der 1. FC Germania Egestorf-Langreder rechnen. Für den Regionalligisten hatte Weydandt von 2014 bis 2018 gespielt. Und Weydandt? Der verdient jetzt auch ein wenig mehr.
Statt einem Bierkasten im Vereinsheim oder dem für viele Studenten lebenswichtigen BAföG winken ihm nun ganz andere Prämien: Der Profi-Kontrakt bis 2020 soll ihm laut Medienberichten 14.000 Euro im Monat einbringen. Ein fürstliches Gehalt für den Studenten – vor allem, wenn man noch in einer Dreier-WG wohnt.
(bn/sid/dpa)