Mein Kollege Timo Stein schrieb nach dem Sieg-Freistoß von Toni Kroos gegen die Schweden: "Ein Freistoß wie ein später Caspar David Friedrich. Ein Affront gegen den Raum, aber gerade so in der Zeit."
Dieser Kunstschuss wird einer der prägenden Momente in der Karriere des Toni Kroos sein.
Doch das Bild, das ich nie Kroos vergessen werde, ist dieses wahnsinnige Lachen im WM-Halbfinale gegen Brasilien. Er hat gerade eben in der 24. Minute mit einem satten Links-Schuss zum 3:0 getroffen. Die Regie zeigt noch neben sich stehende Brasilianer im Publikum, doch muss schnell wieder auf den Platz schalten. Denn Gnade gibt es heute keine.
Die demoralisierten Brasilianer stoßen an, Kroos rennt sofort auf Fernandinho zu, schnappt ihm den Ball weg, spielt Doppelpass mit Sami Khedira und schiebt ganz leicht ins Tor ein. Er läuft auf seinen genialen Mittelfeldpartner Khedira zu, nickt heftig mit dem Kopf und lacht wie ein Irrer.
Die Regie zeigt im nächsten Moment einen Jungen im Publikum, der sein Schluchzen mit seiner Hand abdecken will und dabei fast seine Brille verliert. Selten zuvor hatte ich so ein Gefühlschaos von einer Fußballszene. Zuerst dachte ich mir: Wie kann man so grausam sein, so mies auf eine am Boden liegende Fußball-Nation nach zu treten und dann noch so mies zu lachen?
Kurze Zeit später war ich aber sicher: Toni, du hast alles richtig gemacht. Kroos war bis dahin beim WM-Turnier wahrscheinlich Deutschlands bester Spieler, hat einem Weltpublikum gezeigt, dass er zur Weltspitze gehört. Zwei Tore im WM-Halbfinale zu schießen, davon träumen Fußball-Kinder nachts.
In diesem Moment wusste ich, was Toni Kroos für ein Boss ist. Er hatte sich vom unterschätzten "Zwischenspieler", wie ihn Jogi Löw aufgrund seiner Pass-Stärke und Variabilität im Mittelfeld nannte, zum Anführer entwickelt, der die Kollegen ankurbelt.
Es sollte daher überhaupt nicht wundern, dass Kroos nach der fragwürdigen Leistung der Deutschen im Testspiel gegen Brasilien (0:1) seine Mitspieler so deutlich kritisierte.
Eine deutlichere verbale Nacken-Schelle kann es im Fußballgeschäft nicht geben. Doch Kroos kam als einer der wenigen auf Normal-Form und kann beziehungsweise muss sich rausnehmen, Spieler so in die Pflicht zu nehmen. Der 28-jährige Vater von zwei ist Herzschrittmacher und Taktgeber von Real Madrid und der deutschen Nationalmannschaft. Kaum jemand im Weltfußball trägt so viel Verantwortung. Läuft es nicht bei ihm, läuft es auch in der Mannschaft nicht. Allerdings scheint das fast nie der Fall zu sein.
Kroos strahlt eine solche Ruhe und Entscheidungsstärke aus – das ganze Team wird durch ihn besser. Bei der EM in Frankreich brachte er 509 von 557 Pässen an den Mann – der mit Abstand beste Wert aller Spieler.
Beim Real-Spiel gegen Valencia im Januar 2016 kamen alle 80 Pässe von ihm an, was so gut wie unmöglich ist. Kroos ist einfach verdammt gut und das weiß er.
"Ich kenne keinen Spieler, der so cool ist wie der Toni", sagte Jogi Löw. Kroos sei "im Wissen um seine Stärken so ruhig und gelassen", wie er es bei noch keinem anderen Spieler erlebt habe. "Das ist seine große Qualität."
Es gehört auch dazu, dass Kroos sich auch nicht verbiegt und im Wissen um seine mentale Stärke auch nicht vor heiklen Gewässern zurückschreckt.
Wir haben für euch die größten Boss-Moves von Toni Kroos aufgezählt.
Kroos wollte vor der WM 2014 eine Gehaltsaufstockung, die ihn zu einem der Spitzenverdiener bei Bayern München gemacht hätten. Eine Summe von über 10 Millionen Euro im Jahr – wie bei Mario Götze – wollten die Bayern-Bosse nicht akzeptieren.
Die dürften sich heute noch in den Hintern beißen, dass sie Kroos für vergleichsweise läppische 30 Millionen an Real Madrid abgaben. Dort bekommt er jetzt mittlerweile 20 Millionen Euro pro Jahr.
Vor drei Jahren besuchte Frank Buschmann Kroos in Madrid. Der beichtete ihm, dass er häufig sich die ganze Nacht NBA-Übertragungen anschaut – auch vor Trainings und Spielen.
Kaum ein Profi würde das zugeben aus Angst vor Konsequenzen aus dem Verein. Dass er trotz wenig Schlaf so abliefert, macht es seine Leistungen noch beeindruckender.
Muss mehr gesagt werden?
Beim TV-Duell zur Bundestagswahl positionierte der Greifswalder sich klar auf die Seite der Kanzlerin. Dem unausweichlichen Shitstorm begegnete er so:
Mit 25 Jahren gründete Kroos seine eigene Stiftung um gesundheitlich stark beeinträchtigten Kindern und Jugendlichen sowie deren Familien Unterstützung anzubieten.
Der Mann übernimmt Verantwortung und zwar nicht nur für sich selbst. Ein echter Boss halt.