Die Nationalspieler Mesut Özil und Ilkay Gündogan treffen den türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan. Und was macht DFB-Chef Reinhard Grindel? Beharrt darauf, der Sport sei keine Politik.
Von wegen! In der Geschichte des DFB finden sich einige Momente, in denen der Sportverband die Nähe zur Politik suchte – und fand.
Wir stellen sie vor.
Der WM-Erfolg 1954 gilt als das Wunder von Bern. Der Historiker Joachim C. Fest spricht gar vom "eigentlichen Gründungsakt der Bundesrepublik". Neun Jahre nach Kriegsende – da ist was dran.
Das Wunder von Bern bietet schöne Aufschlüsse. Das DFB-Team bekam als Siegerprämie unter anderem Schiesser-Unterwäsche. Feinripp. Weiß. Doch so einfach gings nicht mit dem Reinwaschen der Geschichte.
So ist es auch nicht verwunderlich, dass Radioreporter Herbert Zimmermann die DFB-Spieler nach dem frühen Rückstand auffordert, "sich keine Vorwürfe zu machen". Schweigen ist angesagt, auch daheim neun Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs.
Zimmermann, (die Rechte für die Übertragung liegen übrigens bei seinem Neffen, dem Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele,) berichtet dann auch stolz aus dem Berner Stadion. "Wir haben heute die beste Rundfunkkabine. Aber das ist ja auch begründet. Wir sind ja schließlich im Endspiel." Endlich ist Deutschland zurück in die Staatengemeinschaft.
Da passt es nicht ganz, dass die Schlachtenbummler, wie Anhänger damals noch genannt werden, nach dem Finalsieg die erste Strophe der deutschen Nationalhymne anstimmen.
Auch der damalige DFB-Präsident Peco Bauwens hatte Mühe, sich von der Geschichte zu befreien. In seiner Dinnerrede auf die Weltmeister in München huldigt er indirekt dem Führerprinzip.
Dem Bayerischen Rundfunk war das zu viel. Er blendete sich aus der Direktübertragung der Rede aus. Bauwens durfte bleiben. Schwierig also mit dem Ball und den Werten.
Zur WM 1978 in Argentinien spielte die DFB-Elf mit Udo Jürgens eine Langspielplatte (so hießen die Tonträger damals) ein. Kostprobe gefällig? "Buenos Dias Argentinas, guten Tag, du schönes Land."
Das in dem schönen Land eine Militärdiktatur herrschte interessierte niemanden. Auch nicht beim DFB. Kostproben gefällig?
Andere waren da kritischer. Der Theologe Helmut Frenz fragte in der ARD-Sendung "Wort zum Sonntag" etwa, "ob einer unserer Fußball-Funktionäre einmal in den Regierungspalast gegangen ist? Ob er den dortigen Militärdiktatoren die Verachtung der Menschenrechte in ihrem Land vorgehalten und die Freilassung der politischen Gefangenen gefordert hat?“
Der Mann wurde vom Fernsehen verbannt. Die Antwort auf seine Frage, gab Auswahltrainer Helmut Schön, ein Mann, der Klavier spielte und als Feingeist galt, ein Jahr später.
Das klingt fast wie Franz Beckenbauer, der nach einem Besuch in Katar, WM-Gastgeber 2022, feststellte, er habe dort "keine Sklaven gesehen".
Auch mit Blick auf die Annexion der Krim oder Menschenrechtsverletzungen im Russland von Staatschef Wladimir Putin warnt DFB-Chef Reinhard Grindel davor den Sport nicht zu überfordern.
Der ehemalige Fifa-Generalsekretär Jérôme Valcke sieht autokratische Strukturen sogar positiv.
Von wegen der Fußball ist unpolitisch.
Angesichts dieser Vorgeschichte ist es schön, dass sich der DFB gern auf seine Werte beruft. Ein paar Beispiele mal eben:
In noch einem Fall nahm es der DFB mit dem Thema Anstand und Sittlichkeit sehr ernst. In den 60er-Jahren sollte ein Juniorennationalspieler aus der DFB-Auswahl verbannt werden. Sein Vergehen: Er wurde Vater. Außerehelich.
Der legendäre Trainer Dettmar Cramer konnte schließlich schlichten. Der Kicker wurde begnadigt. Sein Name: Franz Beckenbauer.
Es ist also schwierig mit den Werten und dem Ball. Und dafür, wofür der DFB eigentlich steht. Parallel zur sportlichen Wende vom kraftvollen Teutonenkick zum leichten Spiel nahm sich der DFB auch seiner gesellschaftlichen Aufgabe an:
Merkwürdig nur, dass es der DFB in einer anderen Sache mit den Werten und der Offenheit nicht ganz so genau nimmt: den verschobenen Millionen im Vorfeld der Vergabe der Fifa-Männer-Fußball WM 2006 im eigenen Land.
Werte... Schön für den, der welche hat. Das Sommermärchen beruht auf Schiebung. Nur der wertorientierte DFB bleibt stumm.
Die Politik sucht sie gern, die Nähe zum Fußball. Das demonstriert Nähe zum Volk. Aber der Ball musste auch schon für viel herhalten. 1972 stand der frische Fußball
Missbraucht die Politik den Sport? Oder lässt sich der Fußball nur allzugern missbrauchen? Die Verbeugung der Nationalspieler Mesut Özil und Ilkay Gündogan war mehr als eine Torheit. (Emre Can hat schließlich abgesagt.) Die Heimatdebatte wirkt anscheinend in zwei Richtungen.
Die Verbeugung zeugt von einer erschreckenden Unbedarftheit. Dass Auswahltrainer die Kicker als "Türken" bezeichnet ebenfalls.
Was folgt daraus? Viel Theoretisches für die Integrationsdebatte. Und etwas Praktisches für den DFB.
Haltung ist in den Leistungszentren nicht nur bei der Schusstechnik wichtig.
Haltung, schön wer eine hat.