Für Alexander Gerst könnte es ein Abschied für immer sein von der Internationalen Raumstation ISS. Am Donnerstag wird der Astronaut nach fast 200 Tagen auf der ISS in der winterlichen Steppe Kasachstans landen. Ob er nochmal auf die ISS zurückkehren wird, ist ungewiss. Es gilt zwar als höchst wahrscheinlich, dass der 42-Jährige noch einmal in den Kosmos fliegt. Aber dann zum dritten Mal zur ISS?
In deutschen Raumfahrtkreisen denkt man an – und hofft auf – eine andere ehrgeizige Mission: Die USA wollen 2023 erstmals seit Jahrzehnten wieder den Mond umrunden – mit einem bemannten Orion-Raumschiff, das derzeit in Zusammenarbeit mit Europa entsteht. Was läge da näher, als auf eine solche Forschungsreise mit wohl vier Astronauten einen Europäer mitzunehmen? "Das ist gut denkbar, aber eine solche Mission hat auch politische Aspekte", heißt es dazu noch sehr diplomatisch.
Eine Reise von Gerst um den Mond wäre auch eine Erinnerung daran, warum der Mann aus Künzelsau in Baden-Württemberg Astronaut der Europäischen Weltraumorganisation (Esa) wurde. Sein Großvater richtete einst als Amateurfunker eine Antenne ins All und ließ seinen Enkel ins Mikrofon sprechen. Die Radiowellen seien zum Mond gereist und als Echo zurückgekommen, erzählte Gerst einmal. "Damit war für mich Sechsjährigen ein Teil von mir auf dem Mond."
Zählt man seine beiden bisherigen Missionen auf der Raumstation zusammen, war kein Deutscher so lange im All wie Gerst: insgesamt fast ein Jahr. Wie wird es also weitergehen mit dem 42-Jährigen, der die ISS zuletzt sogar als Kommandant leitete? "Er ist weiter Mitglied des Esa-Astronauten-Corps – insofern ist auch die Möglichkeit eines weiteren Flugs gegeben", sagt Europas Raumfahrtchef Jan Wörner.
Auch Missionsleiter Volker Schmid vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) meint: "Ich gehe davon aus, dass er noch mal fliegt." Das wäre dann Gersts dritte Reise ins All – soviel kosmische Erfahrung sammelte in Deutschland nur Ulf Merbold zwischen 1983 und 1994.
Aus seiner Faszination für die ISS hat der Geophysiker nie ein Geheimnis gemacht. Mit rund 28.000 Stundenkilometern rast das fliegende Labor in etwa 90 Minuten einmal um den Erdball. Raumfahrer schwärmen vom Blick aus rund 400 Kilometern Höhe auf unseren Planeten. Nachts funkeln Megastädte, tagsüber glitzern Ozeane.
Abgesehen von dieser Aussicht ist der Koloss im Kosmos aber alles andere als eine schwebende Traumherberge, allein schon wegen des Dauerlärms von Lüftung und allen möglichen Geräten. Bei schlechter Luft und bescheidenem Essen lebe die außerirdische Wohngemeinschaft fast ohne Privatsphäre zwischen Computern und Kabeln, sagte einmal der US-Astronaut Chris Cassidy. "Die Raumstation ist kein Luftschloss, sondern eher ein Zeltlager."
Die Rückkehr zur Erde mit der Sojus-Raumkapsel gilt als technisch anspruchsvoll. Nach dem Abkoppeln von der Raumstation rast die Kapsel zunächst ungebremst in die Atmosphäre, die Luftreibung erzeugt dabei Temperaturen von etwa 2500 Grad. Massive Kräfte werden Gerst und seine beiden Mit-Rückkehrer Serena Auñón-Chancellor (USA) und Sergej Prokopjew (Russland) in die Sitze pressen. "Ich kann kaum atmen, weil meine Zunge so stark an den Gaumen gedrückt wird", beschrieb Gerst 2014 seinen Rückflug von seiner ersten ISS-Mission.
Etwa sechs Stunden nach dem Abdocken sollte die Kapsel am frühen Donnerstagmorgen in der baumlosen Weite Zentralasiens landen (ca. 6.03 Uhr MEZ). Bereits am Abend wird Gerst in Köln erwartet. Bis dahin verschickt sein E-Mail-Postfach weiter eine automatische Antwort:
Auf der Erde werden Ärzte untersuchen, wie sich die mehr als 3000 Erdumrundungen auf seinen Körper ausgewirkt haben. "Zunächst wird uns die Auswertung der auslaufenden Mission ein gutes Jahr beschäftigen", sagt Missionsleiter Schmid.
Einige Fragen bleiben noch offen nach der Mission auf dem Außenposten der Menschheit. Noch immer ist ungeklärt, wie ein Loch in die Wand einer Raumkapsel geraten konnte. Und nach dem Fehlstart einer Sojus-Rakete Mitte Oktober musste Gerst lange auf Verstärkung warten, Experimente mussten verschoben werden. Trotzdem zieht Schmid eine positive Bilanz: "Die Wissenschaftler sind sehr zufrieden."
Was auf der Strecke blieb: Die beiden Außeneinsätze von Gerst fielen aus. Zudem konnten technische Probleme beim Roboter "Cimon" und beim Tierbeobachtungsprojekt "Icarus" nicht gelöst werden. "Wenn eine Panne passiert, muss man Kompromisse machen", sagt Schmid. "Wir haben aber gute Resultate eingefahren. Das andere können wir nachholen."
Unabhängig davon, ob Gerst noch einmal zur ISS reist oder nicht, wird der Forschungskomplex wohl nicht ohne deutsches Besatzungsmitglied bleiben. Europas Raumfahrtbehörde Esa arbeitet derzeit an einem Einsatz für Deutschlands nächsten Astronauten Matthias Maurer in der Schwerelosigkeit.
Der 48-jährige Saarländer könnte 2020/21 zur Raumstation fliegen oder vielleicht an einer chinesischen Raumfahrtmission teilnehmen. Maurer wäre der zwölfte Deutsche im All.
(pbl/dpa)