Es ist das Tuchel-Gesetz: Sobald irgendwo ein Trainerstuhl in einer europäischen Topliga frei ist, wird sein Name gehandelt. Dabei hat Thomas Tuchel als Profitrainer gerade einmal sieben Jahre Erfahrung und befindet sich gefühlt in einer Art Sabbatical-Dauerschleife.
Und irgendwie macht er eigentlich alles, um die Nachfrage niedrig zu halten: Tuchel liegt regelmäßig mit den Funktionären im Clinch, gilt nicht gerade als Fan-nah und treibt die Spieler mit Systemumstellungen auf Zauberwürfelniveau in den Wahnsinn.
Es ist das Phänomen Tuchel: Obwohl er eigentlich alles falsch macht, macht er sehr vieles richtig.
Wer zur Hölle ist dieser Teufelskerl?
Heute ist es normal. Heute werden junge Trainer nach absolvierter „Gehirnwäsche“, wie Mehmet Scholl die Trainerausbildung des DFB nannte, frischweg als Bundesligatrainer engagiert. Als Thomas Tuchel 2009 bei Mainz 05 antrat, war das die Ausnahme. Er war schon "Laptop-Trainer", als klobige Notebooks noch durch grobschlitzige Diskettenlaufwerke schnauften.
Tuchel war zuvor A-Jugendmeister mit dem Mainzer Nachwuchs geworden, hatte aber weder als Tainer noch als Spieler Bundesliga-Erfahrung. Er hatte gerade einmal acht Zweitligaspiele als Verteidiger absolviert, bevor er mit 25 Jahren seine Karriere wegen einer Knorpelverletzung beenden musste. Tuchel begann in einer Kneipe zu jobben und Betriebswirtschaftslehre zu studieren.
Akribisch, pedantisch, mal schroff, mal weglächelnd - Tuchel eben. Er ist bekannt dafür, ganz eigene Vorstellung von Fußball zu haben und diese auch mit entsprechender Konsequenz und Vehemenz in die Praxis umzusetzen.
„Wenn du besonders gelobt wirst vom Trainer, richtest du dich am besten darauf ein, dass du demnächst nicht mal im Kader bist“, jammerte einst ein Spieler von Borussia Dortmundin in der "Süddeutschen Zeitung".
Überliefert ist auch die Geschichte, als der kleine Tuchel als Zehnjähriger den Torwart des eigenen Teams anbrüllte und Tuchels Vater schließlich einschreiten musste.
Noch weniger als mit Spielern, die seinen Ansprüchen nicht gerecht werden, kann Tuchel offenbar mit Funktionären. Der Abgang in Mainz verlief nicht ganz konfliktfrei. Und der Streit mit BVB-Boss Watzke dürfte einen entscheidenden Anteil am Rauswurf bei Dortmund gehabt haben.
4-3-1-2, 5-2-2-1, 4-1-4-1 – für Tuchel keine Lottozahlen. Er liebt die Taktik-Spielerei und wechselt auch gerne während des laufenden Spiels das System.
Auch abseits des Platzes: Legendär ist das Salzstreuerduell mit Pep Guardiola.
In seinem ersten Sabbatjahr traf sich Thomas Tuchel mit dem damaligen Bayern-Trainer Pep Guardiola in der Szenebar "Schumann's" in München. Tuchel und Guardiola nutzten Salz-, Pfefferstreuer, Gläser und Flaschen kurzerhand für eine Taktikeinheit.
Und überhaupt. Tuchel versteht sich als lernendes System: Trifft sich mit Ernährungsberatern, Psychologen, Hirnforschern, oder etwa mit Matthew Benham, europaweit führend auf dem Feld der statistischen Evaluierung von Spieler- und Mannschaftsleistungen. Auch Tuchel liebt den gläsernen Spieler, verpasste den Dortmundern einen High-Tech-Sport-BH, ein Tracking-System, das mit GPS satellitengesteuert arbeitet.
Normale Trainer werden arbeitslos. Thomas Tuchel macht ein Sabbatical!
Tuchel hat das sogenannte Sabbatical (von hebräisch schabat: ‚aufhören‘, ‚ruhen‘) für den Leistungssport, der doch eigentlich keine Pausen verzeiht, salonfähig gemacht. Eigentlich undenkbar. Bisher galt: Bist du raus, bist du raus.
Nicht für Tuchel, der macht schon sein zweites Jahr abseits der Trainerbank. Und ist gefragter denn je. Hut ab!
Von George Best, dem vielleicht besten und bärtigsten Fußballer aller Zeiten, ist sinngemäß folgender Satz überliefert:
Wir hätten gern erlebt, wie ein Trainer Tuchel dem Spieler Best versucht, die Vorzüge von alkoholfreiem Bier und Omega-3-Fettsäuren am Flipchart zu erklären.
Tuchel ist eher das Gegenmodell zu George Best. Der Trainerfuchs Tuchel ist eigentlich ein Windhund. Drahtig, ja sichtlich erschlankt, kehrte er aus seiner ersten Auszeit zurück. Ernährung wurde sein neues Thema. Seinen Spieler verbot er Alkohol, strich Weizen oder Getreide. In Dortmund soll er dem italienischen Pizzamann, der den BVB unter Klopp beliefert hatte, gekündigt haben.
Mal stolziert er im Dolce & Gabbana-Herrenmantel über den New Yorker Bürgersteig. Mal führt er seinen Nadelstreifen durch urbane Hinterhöfe. Und immer blitzt das polierte Schuhwerk. Auch das ist Tuchel. Für eine Ausgabe des „ZEITmagazins MANN“ hat sich Thomas Tuchel so richtig rausgeputzt.
Und dann gibt es ja noch mindestens zwei ungeschriebene Gesetze im Fußball:
1. Niemand sagt dem FC Bayern München ab!
2. s.o.
Tuchel schon. Respekt. So viel Chuzpe musst du erstmal haben!
(ts)