Ralf Rangnick hat am Mittwoch seit langem mal wieder Fernsehnachrichten angeschaut. "Da ging es nur um negative Themen", beschwerte sich der Trainer und Sportdirektor von RB Leipzig auf einer Pressekonferenz am Donnerstag. Nach 20 Minuten habe er wieder abgeschaltet und sich gefragt: "Passiert in der Welt noch etwas, was Zuversicht macht oder was Positives ist?"
Rangnick bezog sich dabei unter anderem auf die Folgen der rechtsradikalen Krawalle in Chemnitz. Auf die Diskussionen über Hetzjagden, streitende Politiker und Rassismus-Vorwürfe gegen die Ost-Bundesländer. Kurz um: Rangnick sah Deutschland 2018. Und wie der RB-Trainer auf dieses Deutschland reagiert, zeigt vor allem eins: Er verschließt die Augen vor der Wirklichkeit und verpasst es, etwas zur Besserung der Umstände beizutragen.
Dabei fing der 60-Jährige bei Fragen der Presse vor dem Heimspiel gegen Hannover 96 eigentlich gut an: "Grundsätzlich kann der Fußball sehr viel zusammenbringen. Er kann Themen einen, die sonst schwierig zu vereinen sind", sagte Rangnick. Leider führte er seine eigene Aussage anschließend völlig ad absurdum:
Der Trainer erklärte weiter: Nur dann könne der Fußball dazu beitragen, dass sich Fronten in der Gesellschaft auch schließen.
Rangnick erhebt mit seinen Aussagen das Unpolitische zur Handlungsmaxime von RB Leipzig. Auch andere Statements wolle der Club nicht transportieren. Auf die Frage nach einer Regenbogen-Kapitänsbinde, wie sie zuletzt der VfL Wolfsburg als Zeichen für Vielfalt eingeführt hatte, sagte Rangnick etwa: "Grundsätzlich muss man im Fußball schon schauen, dass man sich jetzt nicht vor jeden Karren spannen lässt."
Man muss es dem Trainer von RB wohl noch einmal in aller Deutlichkeit erklären:
Die rechtsradikalen Vorfälle in Chemnitz zeigten ganz Deutschland, dass Menschen, die anders aussehen, in diesem Land nicht sicher sind. Sie erinnerten uns daran, dass es Rassismus, Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit noch immer in diesem Land gibt. Unter den rechtsextremen Demonstranten waren zahlreiche Anhänger von Fußball-Clubs.
Dann die Gegenwelle: 65.000 Menschen gingen in Chemnitz gegen Rassismus auf die Straße, um #wirsindmehr zu schreien. Popstars, Rapper und selbst Schlager-Star Helene Fischer äußerten sich.
Nicht einmal 70 Kilometer weiter in Leipzig offenbaren Ralf Rangnick und sein Club RB, dass sich auch führende Fußball-Vereine noch immer zieren, klar Stellung zu beziehen. Und ja Herr Rangnick, diese Stellung ist und sollte politisch sein!
Stattdessen sagte Leipzig laut "RBlive" sogar eine von der Fanvereinigung "Rasenballisten" organisierte Podiumsdiskussion zum Thema "Politik hat im Stadion nichts zu suchen ?!" ab. Dort debattierten Fans mit Jörg Gernhardt, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Sächsischen Fußballverbands, und Christian Lippold, Vorstand des SV Babelsberg 03, über den Zusammenhang von Fußball, Sport und Gesellschaft.
Vielleicht sollte sich Herr Rangnick da mal ein Beispiel nehmen: Der Regionalligist Babelsberg initiierte zusammen mit seinen Fans die Aktion "Nazis raus aus den Stadien", weil der Nordostdeutsche Fußball-Verband den SVB unter anderem wegen eines "Nazischweine raus"-Ruf im Spiel gegen Energie Cottbus zu einer Geldstrafe verdonnert hatte.
Die Babelsberger aber haben begriffen, dass es ein Problem auch im Fußball gibt. Dass etwa die antisemitischen Lieder der Cottbusser Fans aus dem gleichen Spiel vom Verband nicht einmal erwähnt wurden. Deshalb ihre Aktion: Und sie findet deutschlandweit Unterstützung. Zahlreiche Vereine wie Borussia Dortmund, Werder Bremen, der VfB Stuttgart oder der 1. FC Köln unterstützen einen Verein aus der Regionalliga.
RB Leipzig hingegen sagte ein Benefizspiel ab – offiziell aus organisatorischen Gründen. Die Berliner Zeitung berichtete im März aber, dass die Partie auch deswegen geplatzt sei, weil "sich RB einer klaren Verlautbarung gegen Rechtsextremismus und Neonazis in den Stadien habe verweigern wollen".
Rangnick und RB sollten eines wissen: Wer sagt, er mache keine Politik im Fußball, der macht genau das: Politik im Fußball! Wenn in Deutschland Menschen über Straßen gejagt werden, wenn ein schwarzer Spieler nach rassistischen Beleidigungen unter Weinkrämpfen den Platz verlassen muss, oder wenn ein Kreisliga-Team es witzig findet, auf einem Mannschaftsfoto den Hitlergruß zu zeigen, dann muss etwas unternommen werden. Ein Nicht-Statement ist dann auch ein Statement – und zwar eins, das spaltet und rechte Gewalt und Wut verharmlost.
Es kommt nicht von ungefähr, dass eine Google-Suche nach dem Statement "Fußball ist Fußball und Politik bleibt Politik!" auch auf die Seite der NPD Thüringen – oder zur Neonazi-Band Kategorie C führt. Die schrieb übrigens DIE Hymne für die "Hooligans gegen Salafismus"-Demo in Köln, bei der es zu regelrechten Straßenschlachten kam.
Gesellschaftlichen Diskussionen machen nicht vor den Stadiontoren Halt, auch wenn das Ralf Rangnick offenbar glaubt. Sie sind Teil der Kurve – und damit Teil des Spiels. Es sollte das Mindeste sein, dass der Club den eigenen Spielern und den eigenen Fans klar macht: Diskriminierung und Rassismus haben hier keinen Platz.
Und dann kann Ralf Rangnick in Zukunft vielleicht auch wieder positive Nachrichten im Fernsehen sehen.