Und damit war es offiziell: Borussia Dortmund ist DFL-Supercup-Sieger 2019. Der Vizemeister der abgelaufenen Saison schlug den FC Bayern München mit 2:0 durch Tore von Paco Alcacer (48. Minute) und Jadon Sancho (69. Minute) – und schickte den Rekordmeister damit noch vor dem Bundesliga-Start in eine erste Krise. Denn mehr noch als die Stärke des Dortmunder Umschaltspiels zeigte die Partie die Schwäche des Münchener Kaders auf.
Wer vermutete, der Supercup würde letzte Argumente liefern, warum der FC Bayern die Verpflichtung Leroy Sanés unter Dach und Fach bringen sollte, lag mit dieser Annahme nicht falsch – aber auch nicht komplett richtig. Denn die Niederlage in Dortmund deckte auf, dass die Probleme des FC Bayern viel gravierender sind, als nur das Fehlen eines schnellen und dribbelstarken Flügelstürmers.
Die Partie gegen hungrige Dortmunder zeigte: Bayerns Aufbauspiel hinkt, die Abstimmung zwischen den einzelnen Ketten fehlt, die Flügel werden zu schlecht bedient. Schon in der ersten Halbzeit stellte sich die Frage: Was bringt dem FC Bayern ein Leroy Sané, wenn ihn keine Bälle erreichen würden?
So entstanden die ersten drei Chancen des BVB durch uninspirierte Ballverlagerungen der Münchener Innenverteidiger Süle und Boateng auf den gewillten, aber glücklosen Kingsley Coman (Linksaußen) und den völlig indisponierten Thomas Müller (Rechtsaußen). Hätte Torhüter Manuel Neuer in den ersten 20 Minuten nicht sein ganzes überragendes Können gezeigt, die Münchener hätten dem BVB schon beim Pausentee zum ersten Titel der Saison gratulieren können.
Die Bayern fingen sich zwar nach der überfallartigen Anfangsphase der Dortmunder wieder und ließen den Ball gut im eigenen Mittelfeld zirkulieren, versäumten dabei aber das Spiel breit zu machen und mögliche Dortmunder Schwachstellen in der Außenverteidigung (der in die Jahre gekommene Piszczek auf Rechts, der neue, noch nicht vollkommen integrierte Schulz auf links) auszunutzen.
Der Grund hierfür liegt darin, dass die Bayern mit Thiago, Tolisso und Goretzka ihre Spielstärke in der Mitte zu besitzen glaubten. Auch ein Sané auf der Außenbahn wäre bei der zwischenzeitlichen Ballverliebtheit Thiagos kaum in Szene zu setzen gewesen sein.
Hinzu kommt, dass der FC Bayern gerade auf dem linken Flügel, auf dem sich der 23-jährige Sané am wohlsten fühlt, mit Kingsley Coman bereits einen gleichaltrigen Ausnahmespieler besitzt. Der Franzose war es auch, der die größte (und, seien wir ehrlich: einzige) Bayern-Chance im ersten Durchgang hatte, er war es, der Bälle in der Mitte forderte, um die verwaiste linke Flügel zu beleben.
Natürlich: Coman ist für seine Verletzungsanfälligkeit berühmt-berüchtigt, aber: Ist er fit, muss er den Zweikampf mit Sané nicht fürchten. Und wollen die Bayern wirklich die Gefahr eingehen, einen 100-Millionen-Rekordtransfer auf die Bank zu setzen?
Nein, Bayerns Problem ist nach den Abgängen Robbens und Riberys nicht das Fehlen schneller und dribbelstarker Flügelspieler, dafür haben Coman und vor allem Gnabry ihre Sache im vergangenen halben Jahr zu gut gemacht. Bayerns Problem ist vielmehr, dass es an spielerischer Ausgewogenheit fehlt.
Es waren Thiagos Ausflüge nach vorne, die Lücken rissen, die keiner füllte, und die die Dortmunder Umschaltspezialisten im Überschalltempo zu nutzen wussten. Es ist die Behebigkeit der Münchener Innenverteidigung um den bulligen Niklas Süle und dem eigentlich schon vom Hof gejagten Jerome Boateng, die gedankenschnellen und kaltschnäuzigen Spielern wie Dortmunds Jadon Sancho Möglichkeiten zum Toreschießen bietet.
Dass unter diesem Ungleichgewicht schnell auch das "Mia san Mia"-Selbstbewusstsein der Bayern leiden kann, bewies der eigentlich sonst so besonnene Joshua Kimmich mit seinem abscheulichen Tritt auf Jadon Sanchos Sprunggelenk. Aus dieser Aktion, die skandalöserweise trotz Eingriffs des Videoschiedsrichters nur mit Gelb geahndet wurde, sprach der blanke Frust.
So ist es nun Aufgabe der sportlichen Leitung des FC Bayern, eben jenes verloren gegangene Gleichgewicht wiederzufinden und es der Mannschaft wieder einzutrichtern. Die Niederlage im Supercup gegen den BVB machte nämlich klar, dass die Münchener trotz über 60 Prozent Ballbesitz kaum etwas mit dem Ball anzufangen wussten. Ein Spieler wie Leroy Sané, der immer für einen magischen Moment gut ist, würde ihnen sicher helfen, wieder in die Spur zu kommen. Doch dieses Spiel machte vor allem klar: Ein Neuzugang alleine wird den FC Bayern nicht retten können.