Abends, wenn die Kollegen im Feierabend sind und seine Söhne schlafen, beginnt das Hobby von Thomas Tursics. Der Berliner Programmierer versucht, alle Vornamen von Neugeborenen in Deutschland zu sammeln.
Vornamen werden in Deutschland von Standesämtern verwaltet. Noch im Krankenhaus stellen Standesbeamte Geburtsurkunden aus und tragen den Vornamen in ihre Bücher ein, oder die Eltern gehen auf das Amt, um ihr Kind anzumelden. Also haben bis zu 12.000 Standesämter in Deutschland Daten über Vornamen.
Von diesen 12.000 Ämtern hat der Berliner Programmierer seit 2013 Hunderte angefragt, er schätzt, er kommt insgesamt auf eine Abdeckung von etwa 20 Prozent. Gerade arbeitet er an einer App, sie heißt benamsen.
Thomas interessiert sich eigentlich gar nicht so sehr für Vornamen, sagt er. Seine drei Söhne haben ungarische Zweitnamen, weil die Familie von dort abstammt. Ein Vornamenfreak sei Thomas aber nicht.
Ihm geht es um etwas Anderes:
Denn viele Daten – wie Vornamen – gehören uns allen, sagt Thomas.
Dass Thomas sich für Datenfreiheit einsetzt und solch ein Hobby wie das Vornamensammeln pflegt, kommt nicht von ungefähr: Programmieren hat er als Teenager von seinem Vater gelernt. Heute baut er Apps in einem Büro, in dem der letzte Chef gerade seine Stelle räumt, und in denen Projektpläne aus Lego gebaut werden. Ziemlich kreativ, ziemlich nerdig also.
Auf einem Gruppenbild, das im Büro hängt, ist Thomas der Typ, der ganz außen steht, mit einer Rakete auf seinem T-Shirt. Gefühlt ist er derjenige, zu dem die anderen gehen, wenn sie nicht weiter wissen.
Pro Minute werden 157 Kinder weltweit geboren (Statista), in Deutschland hießen Neugeborene im vergangenen Jahr am häufigsten wohl Ben bzw. Emma, eine offizielle amtliche Statistik gibt es nicht. Auch seltene Vornamen waren dabei, ein Junge wird als Sturmhart durch's Leben schreiten. Und jemand hat sogar schon mal versucht, sein Kind Batman zu nennen.
Wie die Deutschen ihre Kinder etikettieren, wird jährlich in Hitlisten veröffentlicht. Es gibt außerdem noch einen Forscher, der Vornamen als Stichproben sammelt und veröffentlicht.
Viele Behörden speichern die Vornamen in einer Software. Standesbeamte können sich damit jährlich auf Knopfdruck die Vornamen ausspucken lassen, und diese an die kommunale Pressestelle und die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) weitergeben, einen mit Steuergeldern finanzierten Verein, der sich auf Vornamen spezialisiert hat.
Die GfdS bekommt fast automatisch die Vornamen zugeschickt, der Verein gibt auf seiner Website an, von 90 Prozent der Kommunen Daten zu bekommen. Damit hat die GfdS so etwas wie ein Monopol auf die Vornamen – hier kommen die jährlichen Hitlisten her, die jeder kennt, und die Bürger kostenpflichtig bestellen können.
Wie viel Geld die GfdS mit den Vornamen verdient und mit wie viel Geld der Verein aus Steuermitteln finanziert wird, wollte die GfdS auf Anfrage von watson nicht verraten.
Während dieser Verein Geld mit Vornamen verdient, wird Thomas Tursics häufig von Ämtern abgewimmelt.
Die Behörden unterstellten gewerbliche Absichten, doch eigentlich wollten sie nicht, dass einzelne Kinder identifizierbar sind, sagt Thomas. Obwohl doch nichts weiter als der Vorname erhoben wird, sagt Thomas, und Vornamen an sich für ihn keine zu schützenden Daten sind.
Wenn Thomas sich durchgesetzt hat, muss er immer damit rechnen, dass ihm die Vornamen ausgedruckt zugeschickt werden, oder dass er unleserliche und unbrauchbare Faxe bekommt. Auch Strichlisten waren schon dabei, meistens dort, wo es nur wenige Geburten gab.
Thomas hat in seinen Daten ein Nord-Süd-Gefälle in der Häufigkeit von Vornamen entdeckt sowie örtliche Vorlieben. In Berlin-Lichtenberg etwa ist Oskar beliebter als im Berliner Durchschnitt. "Vielleicht weil dort das Oskar-Ziethen-Krankenhaus steht", sagt er.
Statistiken über Vornamen können viel aussagen über die Verhältnisse in unserem Land, über das Einkommen der Eltern etwa, oder über Unterschiede zwischen Ost und West.
Die Statistiken können aber auch einen falschen Eindruck über Häufigkeiten erwecken, je nachdem ob sie phonetisiert veröffentlicht werden – also ob also verschiedene Schreibweisen zusammengezählt werden. Wie bei Mohammed und Muhamad: Zählt man die Schreibweisen zusammen, landet der Name mancherorts in der Top Zehn.
Auch diese Vornamen hat Thomas gesammelt. Absurde Namen kommen in den seltenen Vornamen vor, also solchen Vornamen, die nur einmal vorkommen. Wir haben ein paar Namen ausgewählt und präsentieren euch hier die ultimative Top Ten: