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Beschimpfungen und Anmachen: 2 Callcenter-Agentinnen erzählen aus ihrem Alltag

Panoramic shot of a female IT helpline employee next to an LCD screen.
Bild: iStockphoto
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Beschimpfungen und Anmachen: 2 Callcenter-Agentinnen erzählen aus ihrem Alltag

20.05.2018, 16:0022.05.2018, 17:03
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Vor kurzem fiel das Telefonnetz unter anderem beim Anbieter O2 aus, stundenlang hatten Kunden keinen Empfang oder mobilen Zugang zu Internet.

In solchen Momenten denkt man auch an die Mitarbeiter, die in Kundenhotlines an ihren Headsets sitzen und hunderte Anrufe wütender Kunden entgegennehmen.

watson hat mit zwei Callcenter-Agentinnen gesprochen

*Die Namen wurden auf Wunsch der Protagonistinnen geändert.

Maria*, Kundenhotline einer Krankenkasse

  • 22 Jahre alt
  • studiert nebenbei
  • arbeitet 40 Stunden im Monat / 10 Stunden in der Woche

Ich wohne seit einem halben Jahr in Berlin, seit ein paar Monaten arbeite ich in der Kundenhotline einer Krankenkasse. 

Im gesamten Callcenter arbeiten an die 30 Leute. Ich sitze am Computer mit einem Headset und sehe, wie viele Anrufer in der Warteschleife sind. Meine Kollegen und ich können dann auswählen, ob wir gerade verfügbar sind, damit uns ein Anrufer durchgestellt wird. Oder wir sind in der Pause, z.B. auf der Toilette, das kann man auch in dem Computer-Programm auswählen.

Nach so einem Tag im Callcenter komme ich oft nach Hause und will sofort schlafen.

Im Schnitt sollen wir um die 10 Anrufe in der Stunde bearbeiten. Das ist zu schaffen, aber problematisch, wenn Kunden lange mit einem reden wollen. Ich hatte Anrufe, die gingen über 20 Minuten! Außerdem gibt es Anrufer, deren Namen man schon kennt.

Zuvor habe ich anderthalb Jahre in einem Callcenter gearbeitet. Da musste ich andere Menschen in ganz Deutschland anrufen und Marktforschungsumfragen durchführen. 

Vor allem in Großstädten wie Köln und Berlin wurden wir am Telefon angebrüllt.

Meine Kollegen wurden beschimpft, die Angerufenen waren aggressiv, haben blöde Fragen gestellt, ob das überhaupt alles legal sei mit "diesen Umfragen."

Jetzt werde ich angerufen. Meist von Versicherten. Das ist mir um einiges lieber. Trotzdem gibt es Leute, die einfach nicht verstehen wollen, dass wir meist nicht Schuld an ihrem Problem tragen. 

Das ist anstrengend. Wenn Leute sehr verärgert sind – was verständlich ist – wollen sie meist, dass man ihnen eine sehr konkrete Antwort gibt oder weiterhilft. Aber oft liegt das tatsächlich nicht in unseren Möglichkeiten und die Anrufer glauben das dann nicht.

Auch nervig: Als Frau wurde ich nur von Männern am Telefon geduzt. Nicht von allen männlichen Anrufern, das ist klar. Aber wenn ich geduzt werde, sind es immer Männer. Das erzählen mir auch meine anderen weiblichen Kolleginnen. Oder wir werden mit „junges Fräulein“ angesprochen.

Dabei bleibt es aber nicht, ein paar Mal wurde mir schon von männlichen Anrufern gesagt: 

„Sie haben eine schöne Stimme, wir können ja mal einen Kaffee trinken gehen“

Ich bleibe dann meistens freundlich, lache mit und versuche, den Anrufer abzuwimmeln. Bei meinen wenigen männlichen Kollegen – wir sind größtenteils Frauen im Unternehmen – habe ich noch nie mitbekommen, dass sie "heruntergeduzt" werden.

Was ich mir von Anrufern wünsche:

Verständnis: Wir sind meistens nicht die Menschen, die Entscheidungen treffen. Wir können Leuten nur helfen, Zuständige zu finden. Und wenn ihr ein Problem habt, sind wir nicht die Schuldigen oder diejenigen, die das Problem verursacht haben. 

Panoramic shot of a female IT helpline employee next to an LCD screen.
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Lena*, Hotline bei einem Pannendienst

  • 21 Jahre alt
  • studiert nebenbei
  • arbeitet 42 Stunden im Monat im Callcenter / davon so viele Stunden in der Woche, wie sie möchte

Vor gut zwei Jahren bin ich über meine Mitbewohnerin an den Callcenter-Job gekommen. In dem Unternehmen arbeiten über 800 Leute, circa 200 davon sind Studenten, wie ich.

Unsere Aufgaben sind: Herausfinden, um welches Fahrzeug es sich handelt, dann eingrenzen, worauf sich der Schaden beläuft und schnell an Zuständige weiterleiten.

Von der Fachsache ist das ein einfacher Job. Ich arbeite mit einem Headset, habe verschiedene Codes, die ich eingeben kann, zum Beispiel wenn ich auf die Toilette gehe.

Aber was die Arbeit anstrengend macht, ist leider manchmal die Person am anderen Ende der Leitung. In der Pannenhilfe sind die Menschen, die anrufen meist verständlicherweise aufgebracht.

Neulich hatte ich einen Mann am Telefon, der mich "blöde Kuh" genannt hat. Andere Leute legen auf oder drohen, an die Presse zu gehen.

Sexismus ist auch in meinem Beruf immer wieder Thema. Eine Frau hatte mal einen defekten Reifen und fragte mich dann: „Erwarten Sie jetzt, dass ich als Frau unter das Fahrzeug krieche und nach dem Reifen schaue?“ Daraufhin habe ich erwidert: „Sie müssen eigentlich nur den Kofferraum aufmachen.“

Oder wenn ich frage, was mit dem Auto passiert ist, entgegnen mir Männer oft:

„Ihnen brauche ich das nicht erklären, Sie sind eine Frau und haben keine Ahnung davon.“

Und wollen dann direkt mit einem Mann verbunden werden.

Viele Männer haben mich auch gefragt, ob sie mich auf einen Kaffee einladen können, da ich ja so eine angenehme Stimme hätte. Ich versuche dann freundlich abzulehnen.

Was ich mir von Anrufern wünsche:

1.) Wenn ich sage, ich kann etwas nicht machen, dann ist das kein böser Wille, sondern einfach so. Bitte hört zu und glaubt mir.

2.) Bitte bereitet euch ein bisschen vor. Wenn Anrufer keine Ahnung haben, wo sie sind, ist es schwer, schnell zu helfen. Ich hatte mal einen Herren in der Leitung, der wusste nicht wo er ist und lief zum nächsten Autobahn-Kilometer. Er kam zurück, sagte ihn mir durch und ich habe geantwortet: "Okay, entweder stehen Sie gerade bei Dresden oder an der Deutsch-Niederländischen Grenze." Und dann fragte er seine Frau: „Schatz, stehen wir vor der Deutsch-Niederländischen Grenze oder vor Dresden?“ Sowas ist dann zwar lustig, aber erschwert mir die Arbeit.

Oder Gespräche wie dieses, die immer wieder vorkommen: 

Anrufer: "Ich habe eine Panne."
Ich: "Wo denn?"
Anrufer: "Na auf der Autobahn!"
Ich: "Und wo genau?"
Anrufer: "Na auf dem Weg von Berlin nach München!"

3.) Unterstellt uns keine böse Absicht. Wenn ich frage, welche Farbe das Auto hat, geht es nur darum, dass der Schlepper schon mal auf der Straße nach dem Auto Ausschau halten kann. Wie oft musste ich mich – meist mit irgendwelchen Männern –auseinandersetzen, die wütend werden und sagen: „Das geht Sie überhaupt nichts an, welche Farbe mein Auto hat!“

Und 4.) Bitte behandelt mich nicht so, als hätte ich gerade euer Auto kaputt gemacht.

Auch schon mal in einem Callcenter angerufen? Schreib es uns in den Kommentaren

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