Vor 14 Jahren war alles anders. 2005 war Rap-Deutschland im Umbruch. Berlin hatte Hamburg als Hip-Hop-Hauptstadt abgelöst, die "Ansage Nr. 4" der "G-Unit Germany" Aggro Berlin erreichte Goldstatus, Gangsta-Rap verdrängte den Gute-Laune-Hip-Hop der Neunzigerjahre endgültig.
Rap-Deutschland kannte noch keinen Shindy, keinen Capital Bra, Kollegah war längst noch nicht bosstransformiert und ein Großteil Fans von Crews wie "187 Straßenbande" oder "KMN Gang" erblickten wahrscheinlich gerade erst das Licht der Welt. 2005 pflegten deutsche Rapper ihren Beef auch noch hauptsächlich mit Disstracks auszutragen und nicht per Tweet oder Insta-Story.
Vor 14 Jahren, am 14. März 2005, schrieb Kool Savas deutsche Rapgeschichte als er seinen ehemaligen Zögling Ekrem Bora alias Eko Fresh mit "Das Urteil" innerhalb von fünfeinhalb Minuten an die Wand rappte – der "German Dream" erlebte seinen Albtraum:
"KKS" legte mit dem Track, der Teil eines der größten Rapbattles der Geschichte war, die Messlatte für deutschen Sprechgesang höher. Alleine, dass 50 Cent, einer der damals prominentesten US-Rapper, das Intro von "Das Urteil" sprach, ließ die Kinnladen der Deutschrapfans auf die Wohnzimmerfußböden der Republik knallen:
Man saß gespannt vor der Glotze und wartete bei MTV "TRL" darauf, dass wieder das epische Musikvideo gezeigt wird, in dem Savas in einem verschneiten Wald einen verzweifelten Ekrem Bora verfolgt, der sich am Ende sein eigenes Grab schaufeln muss und dann von "KKS" lebendig begraben wird.
Dabei war Savas' Urteil "nur" eine Antwort: Ausgangspunkt des Tracks bzw. des gesamten Battlebebens, das auch noch weitere Disstracks sowie eine gewaltige mediale Aufmerksamkeit nach sich zog, war "Die Abrechnung" von Eko Fresh, die er Ende 2004 veröffentlichte.
Ekos "Die Abrechnung" war ein musikalischer Rundumschlag. Er teilte gegen jeden aus, der in der deutschen Rapszene irgendwie Rang und Namen hatte (bzw. noch hat): Bushido, MC Rene, Fler, B-Tight und Sido, vor allem aber gegen seinen Ex-Labelboss Kool Savas, der ihn zu Optik Records holte. Eko warf ihm Neid, Illoyalität und Alpha-Tier-Verhalten vor.
In "Das Urteil" drehte Savas dann den Spieß um und warf Eko, den er als Jugendlichen "mit nach Berlin" und "auf Gigs" mitnahm und ihm dadurch Zugang zur Rap-Szene verschaffte, Untreue, Geld- und Erfolgsgier vor. Savas rappte dazu in seiner Antwort auf "Die Abrechnung" unter anderem:
Außerdem reimte der als Sohn einer deutschen Mutter und eines türkischen Vaters in Aachen geborene Savas:
In diesem Zusammenhang lederte Savas weiter gegen Eko Freshs Ausflüge in die R'n'B- und Popwelt. Beim Label BMG hatte Eko zum Beispiel die Nr.-1-Popschnulze "Du hast mein Herz gebrochen" für Yvonne Catterfeld geschrieben:
"L.O.V.E." war das gemeinsame Kuschelpop-Album von Eko Fresh und seiner damaligen Freundin, der Sängerin Valezka, das mehr mit R'n'B als mit Hip Hop zu tun hatte. In der deutschen Rapszene war Eko seitdem als "whack" abgestempelt: Catterfeld, Schmusesongs – als Rapper nahmen ihn nur noch wenige ernst.
Und so wurde Kool Savas' "Das Urteil" wenig überraschend viel erfolgreicher als "Die Abrechnung" von Eko Fresh. Raptechnisch musste sich Ekos Track eigentlich nicht verstecken, doch kam er eher wie eine wahllose Beleidigungsorgie rüber, in der ein deutscher Rapper nach dem anderen gedisst wurde.
Ekrem Bora hatte sich mit dem Falschen angelegt, als er sich gegen seinen ehemaligen Mentor wandte: Nämlich mit dem selbsternannten deutschen King of Rap, der Eko intensivst auseinander nahm.
"Das Urteil" setzte nicht nur neue Maßstäbe in Sachen Battlerap, sondern war ein Disstrack mit Storytelling-Anleihen, der ganz nebenbei auch noch ohne Beleidigungen von Müttern und anderen Verwandten auskam.
Beleidigungen unter der Gürtellinie gab es natürlich auch - und vor allem in Texten von Kool Savas – damals schon, aber das nur nebenbei und der Vollständigkeit halber:
Vielleicht war "Das Urteil" der Brandbeschleuniger für ein vor 14 Jahren neu entfachtes Deutschrapfeuer. Denn mit jedem weiteren Disstrack, der danach erschien - von "Hollywoodtürke" (Fler vs. Eko) über "FLERräter" (Eko und Bushido vs. Fler) bis "Du Opfer" (Fler und B-Tight vs. Eko) - wuchs die Szene weiter.
Ob Savas damals selbst schon ahnte, dass er im positiven Sinne eine Deutschraplawine losgetreten hatte, als er Eko Fresh lyrisch begrub? Immerhin sprach er 2005 schon von einer neuen Rapzeitrechnung:
Wer weiß, ob ohne "Das Urteil" Rapcrews und Künstler wie "187 Straßenbande", "KMN Gang" oder Kollegah heute so groß wären wie sie sind? Wahrscheinlich wäre heute alles anders...